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Studie über Judenhass der DeutschenMehr als nur Neid

Götz Aly glaubt mit der Studie "Warum die Deutschen? Warum die Juden" den Schlüssel für den aufkeimenden Hass gegen Juden und den Holocaust gefunden zu haben.

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin:Mit den Juden verbanden die Deutschen laut Aly die Bedrängungen des modernen Lebens. Bild: dpa

"Man kann den Antisemitismus nicht aus dem Antisemitismus heraus erklären", so fasst Götz Aly in einem Interview das Motiv für sein neues Buch zusammen. Vielmehr müsse man erklären, warum der mörderische Antisemitismus "in Deutschland mit dieser Wucht und in dieser sozialen Breite entstehen" konnte.

Dazu geht er einen weiten Weg - von den Auswirkungen der napoleonischen Kriege bis zur Eskalation des radikalen Antisemitismus nach dem Ersten Weltkrieg, nach Inflation, Versailles und Weltwirtschaftskrise. Das ist schon vielmals erzählt worden, Alys Kernthese ist in dieser Zuspitzung und Schärfe aber doch aufschlussreich.

Sie geht etwa so: Deutschland war, nach Plessner, eine verspätete Nation. Nationale Einigung "von oben", Industrialisierung, defizitäre Volksbildung: Die Deutschen waren vor und nach der Reichseinigung von 1871 ein Volk mit schwachem Selbstbewusstsein und angesichts der heranbrechenden Moderne eher verzagt, ängstlich und abwehrend. Die Juden hingegen nahmen Chancen, die sich ihnen mit Emanzipation und Gewerbefreiheit boten, intensiv und außerordentlich erfolgreich wahr.

Für sie bot die neue Freiheit endlich die Möglichkeit, der Enge des Ghettos zu entkommen und ihre Tüchtigkeit zu erproben. 1901 erreichten 7,3 Prozent der christlichen Kinder in Preußen einen höheren Schulabschluss als die Volksschule - aber 56,3 Prozent der jüdischen Kinder. In der Industrie, im Bankwesen, in akademischen Berufen waren Juden um 1900 stark vertreten. Ihr Durchschnittseinkommen war zu dieser Zeit etwa fünfmal so hoch wie das der christlichen Deutschen.

Die Juden, so der Hofprediger Stoecker 1880, nähmen in Deutschland eine Stellung ein, die ihnen nicht zustünde: "Ausgerüstet mit einer starken Kapitalkraft, auch mit vielem Talent, drückt dieser Bevölkerungsteil auf unser öffentliches Leben." So entwickelten sich Neid und Missgunst, sowohl bei den Deutschen, die mit der neuen Zeit nicht mitkamen, als auch bei jenen, deren sozialer Aufstieg durch erfolgreichere Juden tatsächlich oder vermeintlich gehemmt wurde.

Nachkriegsradikalisierung

Nach dem Ersten Weltkrieg radikalisierte sich dieses Syndrom aus Modernefurcht und Judenhass: Juden, so verbreiteten die Antisemiten, hätten sich vor dem Einsatz an der Front gedrückt, aus der deutschen Niederlage Profit gezogen und steckten mit den alliierten Siegern unter einer Decke. "Auf diesem gesellschaftlichen Boden", so Aly, "gedieh das untergründig bald weit verwurzelte, moderne Ressentiment gegen die Juden."

Man mag einwenden, dass sich ähnliche Thesen in den meisten neueren Gesamtdarstellungen zur Deutschen Geschichte fänden. Aber es ist Alys Verdienst, diese Zusammenhänge luzide und breit belegt erläutert und plausibel gemacht zu haben. Allerdings bleiben Einwände und Fragen. Zum einen: War es wirklich nur Neid? Juden standen im späten Kaiserreich ja nicht nur für materiellen Erfolg. Sie fanden sich zum großen Ärger ihrer Gegner in der verwirrenden Dynamik der Hochindustrialisierungsphase offenkundig besser zurecht als die meisten christlichen Deutschen.

Juden galten ihnen daher gleichermaßen als Symbole wie als Profiteure der Moderne: freche Journalisten, neugierige, aufmüpfige Gymnasiastinnen, kühl rechnende Börsianer, ironische Schriftsteller - sie repräsentierten in den Augen ihrer Gegner den Geist der Stadt, des Kapitalismus, des Liberalismus und Individualismus. Mit den Juden verbanden sich so alle Herausforderungen, Irritationen und Bedrängungen des modernen Lebens. Nicht nur Einkommensunterschiede oder unerreichter wirtschaftlicher Aufstieg, auch die Beschwerden über die Exzesse des Großstadtlebens wurden mit den Juden in Verbindung gebracht: Prostitution und Alkoholismus, Frauenemanzipation und Kriminalität, aber vor allem die Massenkultur. Wie schon in seinem vorherigen Buch "Hitlers Volksstaat" überzeichnet Aly hier die materiellen Beweggründe und schätzt, wie sein Antipode Wehler, die kulturellen Elemente viel zu gering ein.

Ein zweites Problem: Lässt sich der Aufschwung des Antisemitismus in Deutschland tatsächlich durch Kategorien wie "Volkskollektivismus" und "Gleichheitspostulat" erklären? Aly zieht hier direkte Verbindungen zwischen der Sozialdemokratie und der Ausbreitung des Antisemitismus und dreht die in der SPD verbreitete Überzeugung, der Antisemitismus sei "der Sozialismus der dummen Kerls" gerade um: Die sozialdemokratische Forderung nach Verminderung der sozialen Ungleichheit habe der Forderung nach Verminderung des wirtschaftlichen Erfolgs der Juden in die Hände gespielt.

Aber die massive Forderung der Arbeiterschaft nach Beseitigung der sozialen Ungleichheit finden wir in allen großen Industrieländern der Zeit - und nur in Deutschland ist der Antisemitismus zur Staatsphilosophie geworden. Und zum anderen war die Kritik der SPD an den Klassenschranken des Kaiserreichs völlig berechtigt. Wurden sie dadurch delegitimiert, dass die Antisemiten sie für ihre Hetze nutzten?

Auf der anderen Seite trifft Aly hier einen richtigen Punkt, wenn er die antiliberalen Utopien der Rechts- und Linksradikalen der europäischen Zwischenkriegszeit gerade in Bezug auf den Traum von dem durch Revolution herzustellenden Zustand sozialer Homogenität - der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft wie der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft -näher aneinanderrückt.

Universalistische Ausrichtung

Ein dritter Einwand: Mit den analytischen Kategorien Alys bekommt man zentrale Phänomene des radikalen Antisemitismus nicht in den Blick. Das gilt vor allem für die sich nach 1918 rapide verbreitende Vorstellung vom jüdischen Bolschewismus, die bei der Auslösung des Massenmords an den Juden in der Sowjetunion eine zentrale Rolle spielte. Sie ist mit Begriffen wie Neid oder Gleichheitsverlangen nicht greifbar. In ihr steckt vielmehr die Vorstellung, dass die Juden als Volk ohne Staat per definitionem internationalistisch und universalistisch ausgerichtet seien und versuchten, national orientierte Staaten, vor allem Deutschland, mithilfe des Kommunismus (ebenso wie mithilfe des internationalen Kapitalismus) in ihre Gewalt zu bringen. Waren nicht auch führende Vertreter der linken Parteien und der revolutionären Gruppen Juden - von Leo Trotzki über Rosa Luxemburg bis zu den Anführern der Münchner Räterevolution? Hier schöpfte der Antisemitismus Plausibilität und entwickelte schon früh gewalttätige Dynamik.

Schließlich: die Armut. Etwa ein Drittel der Juden in Deutschland waren keine Profiteure der Industriegesellschaft. Noch viel mehr galt das für die Juden Osteuropas. Wehrmacht und SS-Einsatzgruppen fanden in Polen, der Ukraine, Russland und dem Balkan die Juden fast ausschließlich als ungelernte, arme, schmutzige Elendsgestalten vor. Und es waren Götz Aly und Susanne Heim, die vor Jahren als Erste und eindrucksvoll zeigten, dass deutsche Bevölkerungswissenschaftler und Historiker schon vor dem Krieg umfängliche Pläne entworfen hatten, um durch die Beseitigung des jüdischen Subproletariats die Armut in diesen Ländern auszurotten und ihre soziale Struktur zu modernisieren. Nicht Neid auf Juden, sondern im Gegenteil, Abscheu vor ihrer Armut war hier das Motiv der Vernichtungsbereitschaft.

So ist der Gesamteindruck von diesem Buch etwas zwiespältig. Aly hat zweifellos Recht, wenn er betont, dass die Vorstellung, die Juden hätten den Deutschen widerrechtlich etwas weggenommen, und müssten nun dafür zur Rechenschaft gezogen werden, ein wichtiger Antrieb für den Furor der Judenverfolgung war. Man musste eben kein erklärter Antisemit sein, um nach 1933 die Entrechtung und Enteignung der Juden hinzunehmen oder zu akzeptieren. Es reichte, dass man glaubte, die Juden hätten sich irgendwie bereichert und es mit ihrem Aufstieg wohl zu toll getrieben.

Aber Alys Argumentation deckt nur einen der für Aufstieg und Bedeutung des Antisemitismus in Deutschland ausschlaggebenden Faktoren ab, nämlich Neid und Gleichheitsverlangen. Und es erweist sich nicht als hilfreich, dass in diesem Buch der Eindruck erweckt wird, dies sei nun endlich die umfassende Antwort auf die Fragen "Warum die Deutschen? Warum die Juden?" Zentrale Bereiche bleiben außen vor, denn seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurde der Antisemitismus in Deutschland zum Passepartout, zur Erklärung nahezu aller Widersprüche des modernen Lebens.

Großstadt, wirtschaftliche Defizite, Karriereprobleme, Kriegsniederlage, Massenkultur, Inflation, Schwarzmarkt, Armut, Kommunismus, Wohnungsnot, Kapitalismus oder Seuchengefahr - hinter allem steckten die Juden. Alys materialistischer Ansatz - die direkte Verbindung zwischen materiellen Interessen und politischer Forderung - greift hier deutlich zu zu kurz, "Ideologie" ist eben nicht etwas "Ausgedachtes", wie Aly an einer Stelle formuliert, sondern ein Überzeugungsgebäude mit Welterklärungsanspruch und eigener Wirkungsmacht.

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12 Kommentare

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  • Hofprediger Stoecker: "Ausgerüstet mit einer starken Kapitalkraft, auch mit vielem Talent, drückt dieser Bevölkerungsteil auf unser öffentliches Leben."



    Heinrich von Treitschke, erregte sich über einwandernde Ostjuden mit den Worten „eine Schar strebsamer hosenverkaufender Jünglinge“ . Neidisch die beiden auf die Juden, so auch Wilhelm II, Turnvater Jahn, Achim von Arnim, alles kleine, zu kurz Gekommene?

    Aber gehen wir mal davon aus, dass ärmere Volksschichten den Reichtum anderer vor Augen hatten. Warum haben sie dies nicht als Ansporn verstanden, sich tüchtig ins Zeug zu legen? Waren sie hoffnungslose, lernunwillige Trantüten? Und wenn sie die Wohlstandsmenschen beneideten, warum richteten sie ihren Neid nicht gegen sämtliche Reiche, warum nicht zumindest gegen den Adel, der seinen Reichtum in Jahrhunderten zusammengeraubt hatte? Warum gegen Juden? Die Lösung dessen, wer das machte, musste schon Antisemit sein, bevor er Juden als „Volksfremden“ deren Erfolg missgönnte.

    Dabei hatten Protagonisten wie Stoecker und Treitschke selbst verraten, worum es ihnen ging: Die Juden seien ein "fremdes Element, das in unserem Leben einen allzu breiten Raum eingenommen hat", die "Jahr für Jahr" ins Reich gelangen und "deren Kinder und Kindeskinder dereinst Deutschlands Börsen und Zeitungen beherrschen sollen". Oder: Die Juden, verwenden ihre "Kapitalskraft wie die Macht der Presse zum Ruin der Nation" und wollen "der Herr Deutschlands" werden. Sie seien keine Reichsbürger, sondern "ein Volk im Volke, ein Staat im Staate".

    Kurzum, es ging um die Einheit der Nation, für Unbill waren volksfremde Elemente verantwortlich, stellten eine Gefahr für die Einheit von Volk und Nation dar.

    • @klaus priesucha:

      Aly, der selbst das Problem der deutschen Nationsbildung anreißt, verfolgt diesen Gedanken nicht weiter, um seine alberne Neidtheorie auszuwalzen. Weshalb er wohl unter den Tisch fallen lässt, dass den Juden nicht nur kapitalistische Rücksichtslosigkeit, sondern auch zersetzender Intellektualismus, Sittenverderberei, ja der Bolschewismus angehängt wurde. Bei den Nazis wurden Juden nicht nur als Geldsäcke, sondern auch als Hammer und Sichel behaftete, wie auch als verwahrloste Bettelarme karikiert.

      Warum Götz Aly sich auf den Neidkomplex reduziert, verrät seine tief wissenschaftliche Erkenntnis:

      »Kain erschlug seinen Bruder Abel, weil er sich von Gott zurückgesetzt und ungerecht behandelt fühlte. Der erste Mord der Menschheitsgeschichte geschah aus Neid und Gleichheitssucht. Die Todsünde des Neides, kollektivistisches Glücksstreben, moderne Wissenschaft und Herrschaftstechnik ermöglichten den systematischen Massenmord an den europäischen Juden.«

      Die Reichtumsverteilung in den kapitalistischen Nationen soll als gottgegeben hingenommen werden, wer daran kratzt, der wird unausweichlich zum Mörder an unschuldigen Minderheiten. Irgendwie erinnert solches nicht nur an die Bibel, sondern auch an erhitzte maoistische Phantasien.

      Wen wundert `s, dass Alys abenteuerlichen Theoreme, ebenso wie die seines „Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“ durchaus Anklang fanden in den seligen Zeiten der Agenda 2010. Sozialstaat im Kaiserreich, in der Weimarer Republik, unter den Nazis und im demokratischen Nachkriegsdeutschland, alles irgendwie der gleiche Lack: Das Prinzip „jeder für sich, Gott gegen uns alle“ das beste Rezept gegen Antisemitismus

      Der Geschichtspolitiker Aly kochte in seinem „Europa gegen die Juden 1880-1945“ sein vulgärmaterialistisches Theorem vom Sozialneid in Sachen Antisemitismus in Osteuropa nochmals auf. Obwohl gerade dort die Juden überwiegend in Armut lebten, zum Teil nicht einmal gleichberechtigte Staatsbürger waren.

  • C
    Catilina

    Aly ist kein Historiker, sondern ein in der Geschichtsschreibung dilettierender sozialdarwinistischer Pamphletist, und sein jüngstes Buch ist eine von von jeglicher Sachkenntnis ungetrübte perfide Diatribe. Gottlob kommt sie um 7 oder 8 Jahre zu spät. 3 Jahre nach dem Kollaps des Weltfinanzsystems kann die besonders abgeschmackte Version der Totalitarismustheorie, die Aly liefert, keinen besseren Menschen mehr ansprechen.

     

    "Mangelnde Volksbildung" ? Im Vergleich zu welchen Ländern ? Das Gegenteil ist der Fall. Schon in den Staaten des Deutschen Bundes war der Standard der Schulbildung GROSSO MODO höher, als in anderen europäischen Ländern; von der gymnasialen und akademischen Bildung ganz zu schweigen. Im 19. Jahrhundert besaß die Institution der deutschen Universität Weltgeltung, und wenn dieser Sachverhalt heutzutage in Vergessenheit geraten ist, liegt der Schluß nahe, daß dieser Mangel an elementaren historischen Kenntnissen in "mangelnder Volksbildung" seine Ursache hat.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Die deutsche Geschichte strotzt vor Kontinuitäten. Sprachlich liegen die israelkritische Linke und die NPD heute nicht mehr auseinander. Das Verdienst von Götz Aly ist es, diese unangenehmen Wahrheiten aufzuzeigen:

    http://bit.ly/nxLV3b

  • BA
    bitte anonym

    @almee

     

    Dann koennte man sich wiederum Fragen ' welche ' Semiten ', die anti-semiten hassen ?

    Sind es ' ethnologisch ' die gruppe Menschen die sich auf der Arabischen Halbinsel fortpflanzten, also eine Mischung von Ost und West - Afrikaner zum Westen und Asiaten vom Osten, welche migrierten und sich auf der Halbinsel trafen und untereinander heirateten sodas ein halb-und-halb Volk, also Semi-ten ( vom lateinischen ' halb und halb ' ) ?

     

    Oder sind es ' Biblisch ' die Gruppe Mensch die von ' Schem ' ( ein Sohn Noah's ) abstammen, wobei das Wort , ' Sem-iten ' sich auf den Namen ' Schem ' beschraenken soll ?

     

    Sollte man den Archeologen ein wenig glauben schenken, dann stammt eine grosse Mehrheit der Menschheit von den 'Ethnologisch' gesehenen Semiten, welches Sued und Zentral Amerikaner, Nord Afrikaner, Mittelmehrvoelker, Klein-asiaten, (minor-asia), sued und mittel Europaer, sowie, suedasiaten, mit einbezieht.

     

    Sollte man der Bibel glauben schenken wollen, so stammt ein drittel der Menschheit von ' Schem' ab, der es nur drei Brueder und ihre familien waren, die nach der Sinflut ueberlebten; Shem, Ham, und Japhet.

     

    Also hinter wem sind die Anti-Semiten eigentlich her ?...

  • A
    aimeé

    @bitte anonym

     

    geht es nicht um antisemitismus? ich habe noch nie von antisemiten gehört, die derlei fein zwischen unterschieden des jüdisch-seins differenzieren, wie sie es hier so eindrucksvoll dargelegt haben. es mag aber tatsächlich ein großer schwachpunkt in aly's argumentation sein, selbst eine typologisierung des juden vorzunehmen. einen typ - welchen auch immer - gibt es schließlich nicht in der realität. er ist immer bloß eine konstruktion vermeintlich typischer eigenschaften und merkmale.

     

    -----------------

     

    zuerst habe ich zu aly's neuem buch die sehr schwache rezension von hendryk m. broder auf welt.de gelesen. im gegensatz dazu, lese ich hier eine facettenreiche, kritische auseinandersetzung mit den inhalten. klasse, vielen dank dafür!

     

    nur zweierlei ergänzend:

     

    zu einer antisemitischen sichtweise gehörte immer auch juden ein "weibisch sein" anzudichten. was heißt das? weichheit (sowohl physiognomisch als auch charakterlich), emotionalität, schwäche, kapriziösität, extravaganz sein etc. pp.. wir finden hier also im vernichtungswillen des judentums, eine verherrlichung des männlichen prinzips und einen hass auf das vermeintlich weibliche.

     

    was auch wenig thematisiert wird: hat nicht der kirchenreformer martin luther mit seinem wütendem antijudaismus seinen, einen gewichtigen teil zu einer legitimation und manifestation des späteren antisemitismus beigetragen?

  • BA
    bitte anonym

    Wenn von ' Juden ' die Rede ist, wer ist damit gemeint ? In jedem Buch liest man etwas anderes, und jede Aussage bezueglich was Juedisch ist, steht im Konflikt mit einer Aussage von jemand anderes, welcher auch Juedisch ist.

     

    Auf der einen Seite wird uns erzaehlt, Juedische Leute durften nicht im oeffentlichen Dienst arbeiten, nicht studieren, und sie betaetigten sich bis mitte des 18ten Jahrhundert ausschliesslich als Haendler und waren I'm Geldwechsel taetig, welches schon von Shaekespear im 'Merchant of Venice ', beschrieben wurde. ( 16tes Jahrhundert).

     

    Auf der anderen Seite hoehrt man das das Juedische Volk aus Geleehrten bestand welche sich der Wissenschaft witmeten, mitunter auch Juristen seit den Tagen des Solomon welcher ein weiser Richter war, bis zu Maimonides.

     

    Dann widerum wird einem erzaehlt das Juden jene waren die zusammen mit den Muselmaennern, heute Muslims, nach Iberia (heute Spanien) zogen und dort Bibiliotheken, Akademien, und eine Renaissance des Wissens und Architektur schaften ( Das Goldene Zeitalter von Iberia ) bis Isabella und Ferdinant aus dem Land schickten, und viele von ihnen nach Italien gingen und dort eine Renaissance schufen.

     

    Es soll auch eine Diaspora aus Italien gegeben haben nachdem die Renaissance bluehte und viele dieser Gelehrten in den Norden fluechteten, unter anderem auch von James 1 von Schottland geholfen wurde, um Kunst, Muse, und Wissenschaft auch in Gross Brittanien zu etablieren, zb. Walhalman Sha Kaspaer, heute besser bekannt als Shakespear.

     

    Die Diaspora des 17ten Jahrhundert brachte viele Juden nach zentral Europa, Deutschland zb. wo dann die Industrialisierung, und die Zeit der Wissenschaft began.

     

    Nun gibt es aber auch die erzaehlung das Juden garnicht in Wissenschaften taetig waren, sondern in Osteuropaeischen 'Staedtlen' lebten, und sich vom Land ernaehrten und sich nur unter sich hielten.

     

    Im Osmanischen Reich wurden Juden in deren Bezirke gebracht um im Oeffentlichen dienst zu fungieren, da sie Rechtsgelehrte gewesen sein sollen ( von Latinischen Wort, Iudex, was ' Richter' bedeutet). Sich in medizin auskannten, so das Arzte da waren, usw.

     

    Unter anderem wird erzaehlt das Juden die Nachkommen von den Ureinwohnern Judeas, und von ' Judah' abstammen sollen.

    Also nicht Israeliten, welche ALLE Staemme Jakobs einbezieht,zb. Dan, Levi, Joseph, usw. Und daher auch zwischen Juden, dem Stammbaum von Judah, und den Hebraeern zu unterscheiden ist, da ' Abraham' zwar ein Hebraeer war, aber keine Israelite, da Jakob nach ihm kam, und auch kein Jude, da Judah nach Jacob kam - also Jakob auch kein Jude war.

     

    Sollte man sich nicht erstmal auf eine der vielen Geschichten einigen bevor man Buecher ueber ' Juden' schreibt, und der Leser nicht weiss WE'RE denn nun eigentlich gemeint ist ?

  • W
    WaltaKa

    Aly hat auch Bücher geschrieben, bei denen ich ihm zustimme. Mittlerweile hat er die Tendenz, sich zu "versteigen". Die "Aufsteigermentalität" als Ursache? Das ist denn doch zu banal.Antisemitismus war in Europa verbreitet; es gab immer wieder Progrome z.B. in Polen und Rußland. Es waren französische und englische Antisemiten, die den Antisemitismus Ende des 19. Jh. publizierten,usw. Es gab auch nicht nur die Judenvernichtung, die Zeit 1933 bis 1945 darauf zu reduzieren, ist zwar IN (und wäre vermutlich im Sinne derer, die "nur" von der deutschen Schuld gegenüber den Juden schwafeln), aber dennoch verfälschend. Z.B. hatte die Sowjetunion wesentlich mehr Tote durch den Deutschen Vernichtungswillen und -krieg (geschätzt 26 - 32 Millionen Tote, mindestens. 30 Millionen hatten die Großdeutschen Planer zum verhungern vorgesehen).Dieser Ostkrieg läßt sich nicht mit einer "Aufsteigermentalität" der Deutschen bagatellisieren. Hitler und die NSDAP wurden von der überwiegenden Mehrzahl der Deutschen, auch und v. a. von Adel, Wirtschaft, gutsituiertem Bürgertum usw, gewollt. Wer Lust hat, kann ja nachlesen, wieso. Ohne verniedlichen zu wollen: Ali negiert ausserdem den Vernichtungswillen, der auch von anderen Völkern und 'Helden' in bestimmten Konstellationen an den Tag gelegt wurde. Von der Antike (Alexander der Große war ein Massenmörder)über Napoleons Eroberungsswillen (Sorry, Geschichtsträumer, zählt seine Toten)zu den türkischen Verbrechen an den Armeniern bis zu den englischen Verhaltensweisen im Burenkrieg und in Indien, den französischen in Algerien. Die USA haben die Indianer ausgerottet. Usw. Nicht zu vergessen der X-Milionenfache Mord in der Sowjetunion in den 20/30 Jahren am eigenen Volk."Aufsteigermentalität der Deutschen" als Ursache für den 2. Weltkrieg und den Holocaust? Das ist dann in dieser Schlichtheit eines Historikers unwürdig und hinterläßt die Frage: wieso schreibt Aly so etwas?

  • I
    Ilmtalkelly

    Wenn die Studie genauso diffus und multiresümierend ausfällt, wie Ihr Artikel, regt sie allenfalls neue Theorien darüber an. Ein Fazit oder polit. Wegweiser lassen sich vermutlich nicht daraus ableiten.

    In einem Punkt stimme ich dem Götz Aly auf jeden Fall zu: Mangelnde Volksbildung oder vielmehr erzwungene, fragwürdige Bildung war und ist der Nährboden für den

    Antisemitismus. Heute kommt eine vielzu technisch geprägter Bildungsverlauf einer Volksverplödung gleich. Damit besteht die Gefahr, daß Menschen, die wenig empathisch geprägte Politik ihrer " Volksvertreter" leichter mittragen. Daraus ließe sich die Eskalation des Antisemitismus im Hitlerdeutschland mit einem Zuwachs an Bildung im Sinne von tech. Verständnis erklären. Die Endlösung war zum großen Teil auch technisch umgesetzt.

    Empfehlenswert ist hierzu das Buch " Summa technologiae" von Stanislaw Lem.

    Auch das Aufstreben medialer Gleichschaltung erlangte in Nazi- Deutschland bei der Judenhatz eine zentrale Bedeutung.

    Bei einem weiteren Verfall der eth. moralischen Wertvorstellungen wirken auf jeden Fall in Zukunft BILD und der ganze Boulevardscheiss mit.

    Eines ist uns bei aktueller Entwicklung sicher: Der Volkszorn gegen " Verfremdung " wird auf kleiner Flamme immer schön weiter köchelnd gehalten , bis wieder einer versuchen wird, das Gas erneut aufzudrehen. Man kann über die Nazis und ihre Greultaten im allgemeinen leider immer mehr Halb-, und Unwissen wahrnehmen.

    Noch ein Zitat von George Santayana : Wer die Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verurteilt, sie zu wiederholen.

  • J
    Jengre

    Rafael Seligmann hat doch schon 2004 gemutmaßt, die Anhänger Hitlers wären nur von "Angst vor der Moderne" getrieben worden, worunter er die liberale Marktwirtschaft verstand (die allerdings in den frühen 1930ern auch im Ausland nirgendwo hoch im Kurs stand). Nichts neues also - bei Aly fallt allerdings auf, daß er schon wieder ein Thema gewählt hat, das von der INSM kommen könnte, und den Holocaust als Werk von "Modernitätsverweigeren" instrumentalisieren will, die sich nicht dem freien, ungebremsten Spiel des Marktes hingeben wollen und Ungleichheit nicht ausschließlich als Resultat des eigenen Versagens akzeptieren... honi soit qui mal y pense.

  • H
    Holländer

    "Warum die Deutschen? Warum die Juden"

     

    Kommt man die Sache nicht leichter näher, wenn man

    nicht nur Deutschland betrachtet? Es gab doch in

    viele Europäische Länder faschistische Parteien

    mit ähnlichen Wahlerfolge. Diese Parteien haben

    vielleicht etwas weniger Stimmen bekommen als die

     

    NSDAP, aber die Situation war außerhalb von

    Deutschland doch nicht Qualitativ anders?

    Das einzige was man extra für Deutschland

    studieren bräuchte, wäre die Frage warum es sich

    hier mehr radikalisiert hat. Aber Antisemitismus

    an sich war damals weit verbreitet und nicht

    typisch Deutsch.

     

    Ich hoffe, ich darf dies als Holländer schreiben.

    Bin neugierig wie ihr Deutschen dies sieht.

  • Y
    Yadgar

    "In ihr steckt vielmehr die Vorstellung, dass die Juden als Volk ohne Staat per definitionem internationalistisch und universalistisch ausgerichtet seien und versuchten, national orientierte Staaten, vor allem Deutschland, mithilfe des Kommunismus (ebenso wie mithilfe des internationalen Kapitalismus) in ihre Gewalt zu bringen."

     

    ...und genau dieser Dreck schwappt bis heute in Tausenden und Abertausenden rechter Internetportale herum, mit fließenden Übergängen sowohl zum christlichen Fundamentalismus, zum esoterischen Verschwörungskokolores wie auch zur "Islamkritiker"-Szene - wie im Internet eigentlich so ziemlich jede Ideologie nahtlos in jede beliebige andere Ideologie übergeht.