Studie der Uni Duisburg-Essen: Niedriglöhne werden Tiefstlöhne
Die unteren Löhne sind im vergangenen Jahrzehnt um 14 Prozent gesunken, so eine Studie der Uni Duisburg-Essen. Der wachsende Niedriglohnsektor zieht auch die Mitte nach unten.
Die Einkommensungleichheit wächst. Vor allem der Niedriglohnsektor stürzt ab: Die Reallöhne im unteren Einkommenssegment sackten in den vergangenen elf Jahren um fast 14 Prozent ab, in den oberen Einkommensgruppen stiegen sie dagegen um 10 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Instituts Arbeit und Qualifizierung der Universität Duisburg-Essen.
Als Niedriglöhner gilt, wer weniger als zwei Drittel des Medianlohns erhält. Der Medianlohn ist der Lohn, den genau die Hälfte der Vollzeitbeschäftigten mindestens verdient. Mittlerweile weist Deutschland den größten Niedriglohnsektor der EU auf und liegt nur noch knapp hinter den USA. Die Niedriglohnquote hierzulande stieg zwischen 1995 und 2006 von 15 auf 22 Prozent. Ost und West haben sich dabei angeglichen. Besonders bitter: Auch die Hoffnungen auf einen Aufstieg erfüllen sich kaum noch. "Die breite Masse bleibt im Niedriglohnsektor", sagt der Sozialwissenschaftler Thorsten Kalina, der die Studie mit verfasst hat, der taz.
Dass die Lohnspreizung in Deutschland zunimmt, beobachten Wirtschaftswissenschaftler aller Couleur. Strittig ist, wen diese Entwicklung trifft. Die gängige Auffassung: vor allem Jüngere und schlecht Qualifizierte. Vollzeitbeschäftigte mit abgeschlossener Berufsausbildung seien dagegen vor Hungerlöhnen geschützt. Diesen Schluss legte etwa eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Januar nahe. Niedriglöhner seien vor allem Minijobber und Teilzeitbeschäftigte, die wenigsten Arbeitnehmer im unteren Einkommenssegment seien vollzeitbeschäftigt. Niedriglöhne wären demnach ein Randphänomen - auch wenn der Rand wächst.
Dieser Auffassung widersprechen die Sozialwissenschaftler der Uni Duisburg-Essen nun deutlich. "Das Problem betrifft den Kern unseres Beschäftigungssystems", sagt Kalina.
Das rasante Wachstum des Niedriglohnsektors ist zwar vor allem auf die vielen neuen Minijobber zurückzuführen. Doch auch immer mehr Vollzeitbeschäftigte rutschen in die Niedriglohnzone: Während Mitte der 1990er-Jahre noch jeder neunte Vollzeitbeschäftigte einer gering entlohnten Tätigkeit nachging, war es 2006 bereits jeder siebte. Fazit der Forscher: Der Niedriglohnbereich zieht die übrigen Lohngruppen mit nach unten.
Und nicht nur das: Selbst eine gute Ausbildung dient immer seltener als Garantie gegen schlecht bezahlte Jobs. Der Anteil der Beschäftigten mit Berufsausbildung oder akademischem Abschluss an den Niedriglöhnern ist auf gut 73 Prozent gestiegen. Mitte der 90er lag er bei rund 66 Prozent. "Die Ausweitung des Niedriglohnsektors schadet den Qualifizierten", resumiert Kalina. Der Schluss der Forscher: Nur ein Mindestlohn kann den Lohnrutsch noch stoppen.
Der Grund für den Sog nach unten ist in den Augen der Forscher vor allem die nachlassende Verbindlichkeit von Tarifverträgen. Den Wendepunkt markiert die deutsche Wiedervereinigung: Auch Betriebe im Westen verließen in der Folge die Arbeitgeberverbände, nachdem viele ihrer Konkurrenten aus den neuen Ländern erst gar nicht eingetreten waren. Vor der Wende waren noch rund 80 Prozent der Unternehmen in der Bundesrepublik tarifgebunden oder orientierten sich an den Tarifabschlüssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!