Studenten in der NPD: Die netten Nazis von nebenan
Der thüringischer Gymnasiallehrer Burkhard Durner muss zusehen, wie ehemalige Schüler als Kandidaten der NPD einen rassistischen Wahlkampf führen.
Als er den Namen im Impressum las, musste er sich erst mal setzen. Es war ein Schock. Er dachte an den blassen Schüler, der nie besonders in Erscheinung getreten war. Und dieser ehemalige Schüler schrieb nun Ende 2006 für den Wartburgkreis-Boten. Diese Zeitung nennt sich zwar "Unabhängiges Mitteilungsblatt für Eisenach und Umgebung", ist aber eine Postille aus dem engen Dunstkreis der NPD.
Burkhard Durner, 57, Lehrer für Sport und evangelische Religion am Dr.-Sulzberger-Gymnasium in Bad Salzungen, Thüringen, stellt sich seither die Frage: Wie kann ein normaler, intelligenter Junge so abdriften? Die Antwort auf seine Frage hat Durner bis heute nicht gefunden. Aber er ist sicher, dass er etwas tun muss. Gerade in diesem Jahr.
Seit Juni sitzt Tobias Kammler zusammen mit Hendrik Heller, ebenso ein ehemaliger Schüler des Gymnasiums, für die NPD im Kreistag des Wartburgkreises. Jetzt treten sie für die rechtsextreme Partei bei den Landtagswahlen am 30. August an. Heller steht auf Platz acht der Liste. Kammler auf Platz sieben, sollte er nicht Abgeordneter werden, will er Fraktionsmitarbeiter werden.
Prognose: Am 30. August wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Rund 1,9 Millionen Bürger sind stimmberechtigt. Einer Erhebung von Infratest Dimap zufolge wird die NPD etwa 4 Prozent der Wahlstimmen gewinnen.
Kandidaten: Die NPD tritt mit Direktkandidaten in allen 44 Wahlkreisen an. Spitzenkandidat ist der Justitiar der Bundes-NPD, Frank Schwerdt, der unter anderem wegen Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung vorbestraft ist. Nach eigenen Angaben hat die NPD ein Wahlkampfbudget von 160.000 Euro.
Zielstrebig: Bei den Kommunalwahlen im Juni zog die rechtsextreme Partei in allen Thüringer elf Wahlkreisen, in denen sie angetreten war, in die Parlamente ein. Sie gewann insgesamt 21 Sitze.
Fremdenfeindlich: Laut dem "Thüringen Monitor" der Universität Jena besitzt knapp die Hälfte der Thüringer Bevölkerung ausländerfeindliche Einstellungen, 6 Prozent der Bevölkerung sind gemäß der Studie "überzeugte Rechtsextreme". (seb)
Für die NPD ist es eine wichtige Wahl - es wird sich zeigen, ob sie es schafft, in der ostdeutschen Provinz weiter Fuß zu fassen, um sich eine wichtige Geldquelle zu erschließen. Dass die NPD in Thüringen zum ersten Mal die Fünfprozenthürde knacken wird, ist nicht unwahrscheinlich. Das macht nicht nur Burkhard Durner Angst.
Bad Salzungen ist eine gemütliche Kurstadt: 16.000 Einwohner, 20 Autominuten bis nach Hessen, die Arbeitslosigkeit liegt unter dem Landesdurchschnitt. In der Stadtmitte stehen ein paar sanierte Fachwerkhäuser, weiter draußen ragen bunt angestrichene Wohnklötze aus Beton in den Himmel.
Tobias Kammler fährt in einem weißen VW Passat Kombi vor: getönte Scheiben, vorn hängt ein Duftbäumchen in Schwarz-Rot-Gold. Hendrik Heller wartet schon auf dem Parkplatz des Berufsbildungszentrums. Er hat einen Karton CDs mitgebracht. "BRD vs. Deutschland" steht auf dem Cover. Neun Rechtsrock-Songs sind darauf und ein Interview mit Michael "Lunikoff" Regener, dem ehemaligen Frontmann der Band "Landser", die als kriminelle Vereinigung gilt und deshalb verboten wurde. Mit Musik will die NPD junge Wähler erreichen.
Schulschluss in der Berufsschule. Heller und Kammler verteilen die CDs auf dem Hof. Ein paar der Schüler sagen "Nein", viele nehmen sie mit, teils interessiert, teils gleichgültig. "Die NPD?", fragt eine junge Frau und zuckt mit den Schultern. "Ich schaue keine Nachrichten." Inzwischen hat jemand dem Lehrer Bescheid gesagt. Der lässt sich eine CD geben und verweist die beiden vom Schulgelände. Mehr könne er nicht tun, sagt er. Die Kandidaten trollen sich.
Sie werden weiter durch den Kreis ziehen und ihren Wahlkampfstand mit Sonnenschirm aufbauen. Sie werden den Leuten einen Stapel buntes Papier in die Hand drücken, ihnen zuhören und versichern: Wir verstehen Sie.
Im Gymnasium in Bad Salzungen schüttelt Burkhard Durner den Kopf. Er versteht vieles nicht. Seit 28 Jahren unterrichtet er an der Schule und genauso lange fährt er mit Schulklassen nach Polen, Tschechien, Ungarn und Litauen. In diesem Jahr kamen zum Jugendcamp auch zwei Gruppen aus Israel. Das sei doch gelebte Völkerverständigung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, sagt Durner - und trotzdem findet rechtes Gedankengut den Weg in die Klassenzimmer.
Durner hat den Anstoß gegeben, dass das Dr.-Sulzberger-Gymnasium eine "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" wurde. Ministerpräsident Dieter Althaus ist Schirmherr der Aktion. Zugleich mussten 70 Prozent der Schüler und Lehrer dafür unterschreiben, sich künftig gegen jede Form von Diskriminierung an ihrer Schule einzusetzen. Seither gibt es mindestens einmal im Jahr einen Projekttag zum Thema Rechtsextremismus. Und Durner hat sich vorgenommen, tagtäglich besser auf seine Schüler zu achten.
Aber kann er wirklich wissen, welche Einstellung seine Schüler haben? Wie viele sind vielleicht in einer rechtsextremen Kameradschaft aktiv? "Im Nachhinein ist man immer schlauer", sagt er und erinnert sich daran, dass Tobias Kammler schon mal mit extremistischen Ansichten aufgefallen ist. Hendrik Heller nannten sie in der Klasse manchmal "den Führer", erzählt ein Mitschüler. "Aber nur aus Spaß." Und Durner erinnert sich an einen Theaterabend in der Schulaula vor vier Jahren. Der Deutschkurs der zwölften Klasse führte Shakespeares "Sommernachtstraum" auf. Heller spielte auf der Bühne eine größere Rolle. Durner fiel damals dessen Leidenschaft beim Spielen auf, die Freude beim Reden. Heute sagt Durner: Er suchte die Bühne. Und er fand sie bei der NPD.
Hendrik Heller und Tobias Kammler, beide 23, schlossen sich im Alter von 15 Jahren der rechtsextremen "Freien Kameradschaft" an, beide sitzen heute im Kreisvorstand und im Landesvorstand der NPD Thüringen. Beide studieren, Kammler Staatswissenschaften in Erfurt, Heller Agrarwissenschaften in Halle. Beide sind adrett gekleidet. Beide erfüllen keines der Klischees, das man von Neonazis hat.
"Ich habe nie eine Glatze gehabt, ich habe nie Springerstiefel getragen", sagt Kammler. Körperliche Gewalt lehne er persönlich ab. Ob das stimmt oder nicht, spielt keine große Rolle, wenn man weiß, dass in der Thüringer NPD genügend Mitglieder wegen Gewaltdelikten vorbestraft sind. Wenn man sich mit Kammler unterhält, schaut er einem nicht in die Augen. Seine Augen blicken nach vorn, als sei dort ein Teleprompter, von dem er seine Sätze abliest.
Er erzählt davon, wie er in einem kleinen Dorf aufgewachsen sei, "wo das deutsche Vaterland noch intakt war". Wie er als Zwölfjähriger nach Bad Salzungen gezogen sei. Wie ihm klar geworden sei, dass man "gegen die Ausländer im Ghetto etwas unternehmen muss". Er verteilte Flugblätter, reiste am Wochenende zu Schulungen und Demonstrationen. Der Beginn einer rechtsextremen Karriere.
Heute gilt für ihn der Gleichheitsgrundsatz "nur für Deutsche in Deutschland". Vor allem "fremde Kulturvölker wie Türken oder Araber" bedrohten die Sicherheit und die deutsche Kultur. Man müsse sie in ihre Heimat "rückführen", notfalls mit Gewalt. Wer Deutscher sei, definiere sich nicht über den Pass, sondern ausschließlich über die Blutzugehörigkeit zum "deutschen Volk". Deshalb könne auch ein Schwarzer niemals Deutscher sein. "Ich kann einem Schwein einen Pferdepass ausstellen, es vier Wochen in einem Pferdestall leben lassen, und trotzdem wird es kein Pferd."
Es sind aber nicht unbedingt ausschließlich diese offen rassistischen Sätze, die bei den Leuten ankommen. Denn die NPD setzt sich auch für Dorfläden ein, organisiert Kinderfeste und gibt Nachhilfe. Sie thematisiert gesellschaftliche Probleme: Zu wenig Ausbildungsplätze für Jugendliche oder schlechte Bus- und Bahnverbindungen. Darüber, gepaart mit Kapitalismuskritik und gepfeffert mit Vorurteilen sowie Feindbildern, schreiben sie im Wartburgkreis-Boten - der eigenhändig verteilt wird an alle Haushalte.
Den Rechtsextremisten ihre bürgerliche Maske abreißen, das will Burkhard Durner. "Eigentlich müsste man sie auf Podien einladen und zeigen, was sie für Unsinn reden", sagt er. Und weiß genau, dass das viele anders sehen. Als er beim ersten großen Projekttag Heller und ein anderes NPD-Mitglied zu einem Gespräch in kleiner Runde einlud, wurde ihm Appeasement-Politik vorgeworfen.
Aber Durner ist ein Kämpfer. Er ist Präsident des 1. TSV Bad Salzungen 1990 e. V., gibt jeden Nachmittag Training. Zu Hause wird gebaut, seine Eltern sind Pflegefälle. Er ist ein kräftiger Mann mit Pranken und Halbglatze; wenn er sich aufregt, überschlägt sich seine Stimme. Sein Vorbild sei Dietrich Bonhoeffer, sagt er. Vielleicht kommt daher seine Kraft.
Womöglich hätte Durner trotzdem schon aufgegeben, stünde nicht der Schulleiter hinter ihm. Beide sind überzeugt davon, dass man die Argumente der Rechtsextremen kennen muss, um sie zu entkräften. "Da sie jetzt im Kreistag sitzen, werden sie Themen aufzwingen. Man muss mit ihnen diskutieren", sagt der Schulleiter. Durner und er duzen sich, sie kennen sich schon lange. Und manchmal fragen sich der Burkhard und der Helmut, ob sie eigentlich genug unternehmen.
Müssten sie die Eltern nicht viel stärker einbeziehen? Aber wie politisch dürfen sie sich überhaupt zeigen? Und wie können sie die Kollegen motivieren, die alles für überflüssig halten? "Fehler macht der, der nichts macht", sagt Durner. Und: "Wahrscheinlich tut die ganze Gesellschaft viel zu wenig." Er hält inne.
Richtet er seinen Blick im Schulleiterbüro geradeaus, sieht er in einer Schrankwand ein paar Dutzend Pokale, vor allem vom Volleyball. Viermal in den vergangenen zehn Jahren erreichte er mit einer Schulmannschaft das Bundesfinale von "Jugend trainiert für Olympia". Das waren große Erfolge - wie wird wohl der Kampf gegen Rechts ausgehen?
Durner glaubt nicht, dass er Heller und Kammler "zur Besinnung bringen kann", wie er es nennt. Aber er will verhindern, dass die jetzigen Schüler ihnen nacheifern.
Die NPD-Kandidaten haben angekündigt, auch vor dem Dr.-Sulzberger-Gymnasium ihre "Schulhof-CDs" zu verteilen. Durner und der Schulleiter werden genau beobachten, wie viele Schüler die CDs empört zurückweisen. Das wird ein Gradmesser für ihren Erfolg sein.
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