: „Strompreise werden weiter steigen“
Die gestiegenen Tarife sind vor allem der Marktmacht einiger Konzerne geschuldet. Unwetter und Katastrophen beeinflussen die Strommärkte nur kurzfristig, sagt der Gero Lücking vom alternativen Stromanbieter Lichtblick
taz: Herr Löcking, warum werden ständig die Strompreise erhöht?
Gero Lücking: Auf dem Energiemarkt gibt es keinen richtigen Wettbewerb. In Deutschland herrscht eine sehr oligolistische Marktstruktur. Die vier großen Energieversorger – Eon, RWE, EnBW und Vattenfall – kontrollieren 85 Prozent der Kraftwerkskapazitäten. An der Leipziger Börse hat sich der Strom von Januar bis Dezember 2005 von 34 auf 50 Euro pro Megawattstunde verteuert. Und die Strompreise werden weiter steigen. Davon profitieren die großen Versorger. Eon hat im letzten Jahr über 6 Milliarden Euro Gewinn gemacht. Und auch EnBW und Vattenfall haben Rekordergebnisse erzielt.
Können die Konzerne die Strompreise einfach erhöhen?
Das ursprüngliche Genehmigungsverfahren geht auf die Bundestarifordnung Elektrizität (BTO Elt) zurück. Früher war der gesamte Strommarkt ein reines Monopol. Die Tarife für die Endkunden mussten von den Aufsichtsbehörden – meist von den Wirtschaftsministerien der Länder – genehmigt werden. Dann 1998 wurde die Stromerzeugung, der Vertrieb und die Dienstleistung liberalisiert.
Also wird in Zukunft nur das Stromnetz reguliert?
Ja, denn das Netz unterliegt nicht dem Wettbewerb. Die bisherigen Regelungen zur Genehmigung des Strompreises gelten noch bis zum 1. 7. 2007. Demnach werden dann die Preise weiter steigen. Zumindest werden dadurch aber die alternativen Energien konkurrenzfähig. Höhere Preise sind nicht grundsätzlich schlecht. Wenn aber Konzerne profitieren, ohne dass sie steigende Kosten nachweisen können – beispielsweise für den Ausbau nachhaltige Energieerzeugung – dann ist das problematisch.
Die Konzerne argumentieren mit steigenden Selbstkosten.
Die Kostenstruktur im Energiebereich hat sich nicht entscheidend verändert. Die Preiserhöhungen sind größten Teils der Marktmacht der Unternehmen geschuldet. Natürlich führt die Bindung des Gaspreises ans Öl und die gestiegene Nachfrage auf den Rohstoffmärkten zum Preisanstieg. Aber die Argumente der Broker an den Strommärkten sind oft unplausibel. Mal ist ein angekündigter Generalstreik in Frankreich verantwortlich, mal eine Krise im Nahen und im Mittleren Osten. Manchmal ist das Wetter zu heiß, ein anderes mal ist es einfach zu kalt. Zum Teil sind die Begründungen geradezu absurd.
Sind das für Sie denn keine echten Gründe?
Kurzfristig beeinflussen Katastrophen und Unwetter die kurzfristigen Stromgeschäfte. Warum aber die Preise für die nächsten fünf Jahre steigen sollen, wenn wir im Sommer 2004 eine auf drei Wochen begrenzte Trockenheit haben, bleibt rätselhaft. Auch wenn die Ursache für gestiegene Kosten nicht mehr existiert, bleiben die Preise oben.
Welche Rolle spielt das Argument der „CO 2 -Zertifikate“?
Die Energiekonzerne sind natürlich auch vom Emissionshandel mit den CO2-Zertifikaten betroffen. Jeder Konzern darf nur eine festgesetzte Menge an Treibhausgasen in die Luft pusten. Wenn sie mehr Kohlendioxid ausstoßen, müssen sie dafür zahlen. Allerdings wurden diese Zertifikate zuerst kostenlos zugeteilt.
Was heißt das?
Kosten entstehen nur, wenn Unternehmen Zertifikate nachkaufen oder ihre Fabriken nachrüsten müssen. Nur dann handelt es sich um ein echtes Argument. Die Konzerne kalkulieren ihre Preise aber so, als hätten alle Zertifikate zugekauft werden müssen. Die meisten Unternehmen verdienen bereits, obwohl sie noch nicht investieren mussten.
Wie sieht es mit dem Argument der gestiegenen Energienachfrage aus?
Der Primärenergieverbrauch ist seit Jahren konstant. Nur die Stromnachfrage steigt leicht, weil andere Energieträger durch Strom ersetzt werden. Gestiegene Nachfrage ist in Deutschland also kein Argument für die stark gestiegenen Preise.
Ist eine wachende Wirtschaft nicht mit gestiegenem Energiebedarf verbunden?
Seit der ersten Ölkrise in den Siebzigerjahren ist das Wirtschaftswachstum vom Primärenergieverbrauch abgekoppelt. Technik wird immer effizienter. Aber in Ländern wie Indien und China wächst die Wirtschaft so rasant, dass selbst bei Einsatz effizientester Technik auch die Nachfrage extrem steigt. Deshalb müssen Industriestaaten wie Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Effizientere Technologien können nur dann exportiert werden, wenn sie auch hier eingesetzt werden.
Die regenerativen Technologien gelten aber als zusätzlicher Kostenfaktor.
Nach Angaben des Bundesumweltministers zahlen deutsche Haushalt im Monat etwa 1,50 Euro mehr für die Förderung der erneuerbaren Energien. Sie sind also wirklich kein echtes Kostenargument.
INTERVIEW: MIRJAM MEINHARDT