: Strenge Maßstäbe
■ Justizsenatorin legt vorläufige Bilanz der Bewältigung der DDR-Vergangenheit vor / Fast 8.500 Rehabilitationsverfahren
Ulbricht, Grotewohl und Pieck fahren mit einem Auto in einen See. Alle drei können nicht schwimmen. Da kommt gerade Klein Fritzchen vorbei und rettet sie. Zuerst rettet er Pieck und bekommt ein Fahrrad versprochen, von Grotewohl bekommt er ein Auto versprochen, und von Ulbricht wünscht er sich ein Staatsbegräbnis. Da fragt Ulbricht, warum. „Ja“, sagt er, „wenn ich meinem Vater erzähle, ich habe Ulbricht gerettet, schlägt er mich tot.“
Wegen dieses und zweier weiterer Witze gleicher Qualität wurde 1968 eine Frau vom Stadtgericht Friedrichshain zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Urteil wegen „Staatsverleumdung“ war, so stellte 25 Jahre später das Berliner Landgericht fest, „rechtsstaatswidrig“, die Betroffene wurde rehabilitiert.
Dies ist eines von 8.364 Rehabilitationsverfahren, die seit Oktober 1990 beim Landgericht Berlin erledigt wurden. In 3.163 Fällen wurde den Betroffenen späte Genugtuung zuteil, 548 Anträge wurden abgelehnt, und 4.633 erledigten sich auf sonstige Weise. 2.595 Verfahren sind noch unerledigt.
Diese vorläufige Bilanz zog gestern Justizsenatorin Jutta Limbach nach drei Jahren Justizeinheit. Während bei der Rehabilitation zu Unrecht Verurteilter „Licht am Ende des Tunnels“ zu sehen ist, steht bei der AG Regierungskriminalität noch die Bewältigung des überwiegenden Teils der Verfahren aus. Von 2.557 Ermittlungen sind erst 753 erledigt (siehe Bericht Seite 4).
In der Personalpolitik hingegen ist die Vereinigung bereits abgeschlossen. 400 Richter und Staatsanwälte wurden seit der Fusion der Stadthälften neu eingestellt, nur 44 wurden aus dem DDR-Justizdienst übernommen. Dabei wurden nach Limbachs Worten die gleichen Kriterien wie in den übrigen neuen Bundesländern angewendet. Daß dort weit mehr übernommen wurden, führt sie darauf zurück, daß in Berlin eine funktionsfähige Justiz bestand und man hier Tabula rasa machen konnte, zudem seien in den übrigen neuen Ländern Leute auch „aus psychologischen Gründen“ im Dienst belassen worden, weil man sich nur noch schwer von ihnen trennen konnte. Eine weit strengere Überprüfung als in den übrigen neuen Bundesländern führte auch im Justizvollzugsdienst dazu, daß lediglich 320 Bedienstete übernommen wurden.
In diesem Bereich sind seit dem Mauerfall eklatante Zuwächse zu verzeichnen. Die Zahl der Untersuchungshäftlinge stieg von 1989 bis 1993 von 540 auf 1.244, die der Strafgefangenen von 2.287 auf 2.344. Der Anteil der ausländischen Häftlinge erhöhte sich im gleichen Zeitraum von 18,3 Prozent auf 31,1 Prozent. Dieter Rulff
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