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Streitfall Junge gelöst — vorläufig

■ Senat fällte im Fall der sogenannten PDS Richterin Junge Grundentscheidung/ Ernennung von gerichtlicher Klärung abhängig

Berlin. Der Senat hat einen Ausweg aus dem monatelangen Koalitionsstreit um die Ernennung der sogenannten PDS-Richterin Cathrin Junge gefunden. Er stimmte in seiner gestrigen Sitzung einer Einstellung zur Richterin auf Probe zu, will die Ernennung jedoch erst vornehmen, wenn ein gegen Frau Junge anhängiges Gerichtsverfahren geklärt ist. Gegen die Richterin war in der vorigen Woche von einem Anwalt Anzeige erstattet worden, weil sie im August 1989 als Bereitschaftsrichterin in Ost-Berlin einen Haftbefehl wegen Republikflucht ausgestellt hatte. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen erklärte nach der Senatssitzung, es sei im Senat »völlig eindeutig, daß bei laufenden Ermittlungsverfahren eine Ernennung nicht stattfinden kann«. Das Thema sei erst wieder in der Landesregierung anhängig, wenn die Gerichte entschieden haben. Dann soll die Ernennung erfolgen, vorausgesetzt, das Verfahren wird eingestellt oder endet mit Freispruch. Dieser Beschluß sei mehrheitlich getroffen worden, es habe Gegenstimmen von CDU-Senatoren gegeben. Die CDU hatte sich bislang gegen eine Ernennung von Frau Junge ausgesprochen, wegen des Konfliktes war zum ersten Mal der Koalitionsausschuß als Schlichtungsgremium der Regierungskoalition einberufen worden.

Justizsenatorin Jutta Limbach befürwortete das nun gewählte Verfahren. Sie wollte, so Limbach, »das Ergebnis erreichen, daß wir erreicht haben«. Es soll nun grundsätzlich gerichtlich geklärt werden, ob ein schlichter Haftbefehl oder ein Urteil wegen Republikflucht in der ehemaligen DDR bereits den Tatbestand der Rechtsbeugung nach bundesrepublikanischem Recht erfüllt. Bei der Berliner Staatsanwaltschaft gibt es dazu anscheinend unterschiedliche Auffassungen. Von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht war bereits ein entsprechendes Verfahren wegen Verjährung eingestellt worden. Die Staatsanwaltschaft beim Kammergericht hatte diesen Spruch jedoch verworfen, da ihrer Ansicht nach der Republikflucht-Paragraph des DDR-Strafgesetztes grundsätzlich rechtswidrig sei. Die Staatsanwaltschaft hat zu diesem Komplex bereits ein Sonderdezernat gebildet, bei dem zur Zeit wegen entsprechender DDR-Urteile und -Haftbefehle 2.500 Verfahren anhängig sind. Darunter befinden sich auch Ermittlungen gegen Richter, die bereits vom Richterwahlausschuß ausgewählt und vom Senat ernannt wurden. Frau Limbach will »noch mal mit allen Gerichtsfürsten reden«, wie in diesen Fällen zu verfahren sei.

Der Generalstaatsanwalt will nun den Fall Junge als einen der ersten entscheiden, allerdings kann das Verfahren bis vor den Bundesgerichtshof gehen. Bis dort ein Richterspruch fällt, wird es, nach Einschätzung von Frau Limbach, bis zu 18 Monate dauern.

Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Klaus Landowsky, erklärte zu dem Beschluß des Senats, daß dieser der Linie der Berliner CDU entspreche. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt begrüßte die Entscheidung. Wie in anderen Fällen auch, müsse nun selbstverständlich die Einstellung des derzeit laufenden Ermittlungsverfahren beziehungsweise ein eventueller Freispruch abgewartet werden. Der Senat sei damit jedoch —endlich — bereit, dem Votum des Richterwahlausschusses zu folgen.

Das sieht jedoch Staffelts Parteifreund, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen, Percy MacLean, ganz anders. Der Verwaltungsrichter, der Mitglied des Richterwahlausschusses ist, sieht in dem nun gewählten Verfahren »eine Blamage für den Senat selber und eine Beleidigung des Richterwahlausschusses«. Blamabel sei für den Senat, daß dieser erst nachdem bereits vierzig Entscheidungen zur Einstellung von Richtern der ehemaligen DDR erfolgt sind, über diese Problematik nachdenkt. Beleidigend sei dieses Vorgehen, weil es unterstelle, daß der Richterwahlausschuß einen Verbrecher zur Ernennung vorgeschlagen habe, denn Rechtsbeugung sei nach bundesdeutschem Strafrecht ein Verbrechen. Allerdings hält MacLean selbst den Vorwurf der Rechtsbeugung für abwegig. Die Erfolgschancen eines solchen Verfahrens seien zudem so geringfügig, daß der Senat Frau Junge auch jetzt hätte einstellen können. Dieter Rulff

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