Streit um die Energiewende: Herr Hoffmann entdeckt den Naturschutz
Braunschweigs CDU-Oberbürgermeister wendet sich gegen Vorrangflächen für Windräder und beruft sich dabei auf Baron Enoch zu Guttenberg.
HAMBURG taz | Braunschweigs Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) hat den Naturschutz für sich entdeckt, und zwar beim Thema Windkraft. Dem Rat der Stadt schlug er vor, Braunschweig möge auf Vorrangflächen für Windenergie verzichten.
Unter anderem begründete er das mit einem Artikel von Enoch zu Guttenberg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Darin hatte der greise Vater des Ex-Verteidigungsministers die Windräder mit den außerirdischen Monstern in „Krieg der Welten“ verglichen. Mit der positiven Haltung des BUND zur Windenergie begründete er seinen Austritt aus dem Umweltverband.
Um mehr Windenergieanlagen zu ermöglichen, arbeitet der Zweckverband Großraum Braunschweig zurzeit daran, das regionale Raumordnungsprogramm zu ändern. Dabei hat er zwei Vorranggebiete für Windräder auf Braunschweiger Territorium vorgeschlagen: östlich von Bevenrode und südlich von Mascherode. OB Hoffmann nun hält die beiden Gebiete für ungeeignet, der Planungsausschuss, in dem SPD und Grüne die Mehrheit haben, stimmte trotzdem dafür.
Das Gebiet bei Bevenrode grenze unmittelbar an das Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiet (FFH) „Eichen-Buchenwälder zwischen Braunschweig und Wolfsburg“, argumentiert Hoffmann. „An diesem Standort könnte es zu Konflikten kommen, da auch das Umfeld von FFH-Gebieten Restriktionen unterliegt“, warnt er.
Mit 250.000 Einwohnern ist die Stadt die zweitgrößte Niedersachsens.
Die Regionalplanung betreibt der Zweckverband Großraum Braunschweig. Er umfasst das Gebiet der kreisfreien Städte Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg sowie der Landkreise Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel. Dort wohnen eine Million Menschen.
Oberbürgermeister Gert Hoffmann (CDU) ist 2006 mit einem Stimmenanteil von 58 Prozent direkt gewählt worden. Zugleich Stadtoberhaupt und Verwaltungschef amtiert der Oberbürgermeister acht Jahre.
Bei der Kommunalwahl im Herbst 2011 gewannen die linken Parteien die Mehrheit der Sitze. Zuvor hatte es ein Patt gegeben.
Carlo Fuchs vom Braunschweiger Naturschutzbund (Nabu) hält das für ein „nachvollziehbares Argument“. Das europäische FFH-Gebiet sei auch ein EU-Vogelschutzgebiet, insbesondere wegen der Spechte, die dort beheimatet sind. Ein Windpark vor dem Wald könnte den Tieren schaden.
Den Grünen-Stadtrat Gerald Heere überzeugt das alles nicht. „Die Einrichtung von Windrädern neben dem Flora-Fauna-Habitat-Gebiet bei Bevenrode wird hier zum Problem hochstilisiert“, sagt er. „Dagegen hatte Herr Hoffmann bekanntlich keinerlei Schwierigkeiten damit, 90 Hektar des FFH-Gebiets Querumer Forst für den Flughafenausbau zugunsten des VW-Konzerns zu opfern.“
Auch der Kronzeuge Enoch zu Guttenberg überzeuge mit seiner Kritik in der FAZ nicht. „Die Energiewende ist zu wichtig, um ihr polemisch zu begegnen“, sagt Heere. Guttenberg hatte dem BUND vorgeworfen, er habe sich seinen Einspruch gegen einen Windpark in der Nordsee abkaufen lassen. Windenergieanlagen zerstörten die Landschaft, machten die Entwaldung ganzer Höhenzüge erforderlich und häckselten Vögel.
Ein Vorranggebiet bei Mascherode lehnt Hoffmann ab, weil dort „die letzte große zusammenhängende Wohnbaulandreserve der Stadt“ liege. „Ich glaube nicht, das Braunschweig auf dem Weg zu einer 500.000-Einwohner-Stadt ist“, erwidert SPD-Fraktionschef Manfred Pesditschek.
Vor zehn Jahren habe der Rat ein großes Wohnbaugebiet im Nordwesten beschlossen. Das sei erst zur Hälfte bebaut. Zudem wolle die SPD lieber Wohnungen in der Innenstadt schaffen. Sollte sich an dieser Lage in 20 Jahren etwas ändern, wären die Windkraftanlagen bis dahin abgeschrieben. Hoffmanns Argument sei bloß vorgeschoben.
Viel eher, sagt der Sozialdemokrat, könne sich die Nähe zum Flughafen auswirken. Ob dessen Sicherheit durch einen Windpark bei Bevenrode gefährdet würde, müsse das weitere Verfahren zeigen. Für den Rat gelte es, die Gesamtsituation im Auge zu behalten.
Nach der Fukushima-Katastrophe hatte er die Verwaltung beauftragt, sich an einem regionalen Energie- und Klimaschutzkonzept zu beteiligen. Auch sollte die Schaffung weiterer regenerativer Energieerzeugungsanlagen im Stadtgebiet mit einem Zuschuss zu den Investitionskosten gefördert werden. „Man kann nicht sagen, baut immer nur bei den Nachbarn, aber nicht bei uns“, findet Pesditschek.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe