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Streit um das „Moratorium“ in Litauen

■ Unterschiedliche Interpretationen der sowjetischen Position bei Landsbergis und Prunskiene / Heute Parlamentsdebatte in Vilnius

Moskau/Vilnius (afp/taz) - Die Debatte des litauischen Parlaments über die Aussetzung der Unabhängigkeitserklärung vom 11. März ist am Dienstag unterbrochen worden und soll heute fortgesetzt werden. Von seinem Gespräch mit Gorbatschow aus Moskau zurückgekehrt, berichtete Präsident Landsbergis, ihm seien von seinem sowjetischen Kollegen zwei Lösungswege unterbreitet worden: entweder werde Litauen als selbständiger Staat mit einer erneuerten sowjetischen Föderation lose verbunden bzw. assoziiert sein, oder Litauen halte sich an die vom Obersten Sowjet beschlossene Austrittsprozedur.

Über das, was die Sowjets als Rechtswirkungen eines „Moratoriums“, das heißt des Einfrierens der Unabhängigkeitserklärung für die Dauer der Verhandlungen ansehen, scheint es zwischen Landsbergis und der litauischen Premierministerin Prunskiene Unterschiede zu geben. Während Landsbergis meinte, das Moratorium werde als die Rückkehr Litauens zum Status einer Sowjetrepublik interpretiert, widersprach Frau Prunskiene dieser Deutung. Sie hatte selbst mit Gorbatschow das Problem telefonisch erörtert. Litauen hatte in der letzten Zeit mehrfach angeboten, die Rechtsfolgen von Gesetzen auszusetzen, die nach der Unabhängigkeitserklärung angenommen worden waren, eine Aussetzung der Erklärung selbst aber abgelehnt. Von der Darlegung dessen, was beide Seiten unter dem Moratorium verstehen, wird abhängen, ob das Parlament in Vilnius dem Vorschlag Gorbatschows folgen wird.

Frau Prunskiene hat sich im Parlament vehement für das Moratorium ausgesprochen und für den Fall seiner Zurückweisung mit ihrem Rücktritt gedroht: „Wir haben keine Zauberformel, um die Probleme zwischen Litauen und der sowjetischen Regierung zu lösen. Aber vielleicht kann eine neue Regierung eine Lösung finden.“ Bis jetzt zeigen die Abgeordneten, vor allem die Sajudis-Mehrheit, wenig Neigung zum Kompromiß. Von den sechs vorliegenden Anträgen spricht sich keiner für das Moratorium aus.

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