Streit um alternative Meßwerte

■ Die unterschiedliche Arbeitsqualität der unabhängigen Labors ist heftig umstritten

Während im Bundestag gestern eine neue Strahlenschutzverordnung verabschiedet wurde, ist bei den Alternativen ebenfalls ein heftiger Konflikt über den Aussagewert ihrer Meßdaten entbrannt. Während sich einige Institute um Präzision bemühen und entsprechend teuer sind, machen andere es zu Dumpingpreisen und müssen sich nun mit dem Vorwurf leichtfertiger Diagnose herumschlagen.

Untereinander sind sie sich schon lange nicht mehr grün, die Meßstellen aus der „Arbeitsgemeinschaft ökologischer Forschungsinstitute“ (AGöF). Landauf, landab messen die Privaten Folgen des radioaktiven Fallouts von Tschernobyl. 70 bis 140 DM müssen Verbraucher, Bauern, Gärtner, Mütter oder Händler für eine „Becquerel–Probe“ zahlen. Die Auftragslage entwickelte sich gut, bis die Zeitschriften „Öko–Test“ und „Mahlzeit“ mit einem Dumping– Angebot in den Markt der alternativen Kleinunternehmer einbrachen. Für 30 Märker offerierten die Zeitschriften ihren Lesern eine Strahlenkontrolle von Muttermilch, Lebensmitteln und Erde. Etwa 1.500 Menschen nahmen bisher das preiswerte Angebot wahr. Als „Öko–Test“ im Dezember zum dritten Mal eine Cäsium– Liste für genau bezeichnete Milchfabrikate veröffentlichte, war der Krach perfekt. „Da sind Meß–Neckermänner am Werk, billig aber ungenau“, brachte ein Teilnehmer einer AGöF–Klausurtagung am letzten Wochenende in Münster den Unmut auf den Punkt. Verunsicherte Mütter „Kritik um der Kritik willen“ schimpft Günther Berger von „Öko–Test“ gegenüber der taz. „Wir haben niemandem Schaden zugefügt“, behauptet „Mahlzeit“, „90 Prozent unserer Leser hätten bei teuren Instituten nicht 1messen lassen“. Gleichwohl kann Redakteur Günther Kreidl im Gespräch mit der taz „gewisse Unsicherheiten hinsichtlich der Meßwerte nicht ausschließen.“ Da hatte z.B. eine Mutter aus Oberhausen einen Brief erhalten, ihre Milch enthalte 25 Bq Gesamtcäsium, der Fehlerbereich sei „geringfügig“. Die Nachfrage bei einem anderen Labor ergab die verwirrende Auskunft, die Fehlertoleranz könne bei 100 Prozent oder darüber liegen. „Also strahlt meine Milch mit irgendwas zwischen Null und 50 Becquerel?“ fragte die Frau bestürzt. Aus Unsicherheit und mit dem Gedanken an den AGöF–“Richtwert“ von 5 Bq stillte sie ihr Kind ab - und griff zu einem Milupa–Präparat. Wie dieser Frau erging es offenbar vielen Müttern, die wissen wollten, ob sie „strahlenarm“ stillen könnten. Unerwartetes Ergebnis der billigen Aktion: verunsicherte bis wütende Mütter und Verbraucher, Sorge bei den AGöF–Instituten um den Ruf unabhängiger Meßstellen. Kompliziert, schnell und ungenau Ihre intere Kritik richtet sich insbesondere gegen das Umwelt– und Diagnoselabor (ULF) in Fulda, das für „Öko–Test“ arbeitet. „Exakte Werte mit geringen Fehlertoleranzen, wie Mütter und andere Kunden sie wünschen“, so Dr. Frank Kuebart von der Kölner Meßstelle Gamma, „erfordern mehr Zeit, als ULF aufwendete“. Vereinfacht ausgedrückt, schnelle Messungen mit einem „Natrium–Jodid–Detektor“ können bei vielen Proben einen Trend oder Mittelwert anzeigen, gelten jedoch für Einzelproben etwa von Muttermilch oder einer spezifischen Milchcharge als ungeeignet. Je geringer die Probenmenge und je kürzer die Meßdauer, desto ungenauer der ausgespuckte Computerwert. Besonders bei Niedrigstrahlungen müssen radioaktive Zerfälle lange „beobachtet“ werden, um aussagefähige, sichere Bq–Daten zu erhalten. Und das erhöht den Endpreis für den Kunden. Dagegen meint ULF–Chef Prof. Dr. Friedhelm Diehl, den die AGöF–Diskussion sowieso an eine „pennälerhafte Runde“ erinnerte, bei weniger als 10 Bq in der Milch sei es „nicht so entscheidend, ob wir 30 oder 100 Prozent Fehler haben“. Das sehen viele Institute anders, „sonst könnten wir unsere Messungen vergessen, und gleich eine BI gründen“, wirft Rainer Hage von der Münsteraner Gesellschaft für Strahlenmeßtechnik (GfS) ein. Dagegen hält Diehl, Meßunsicherheiten dürfe man vor zahlenfixierten Verbrauchern nicht kaschieren. Seine Methode sei „nicht falsch, sondern kompliziert, schnell und billig“. „1000–Bauern–Programm“ Einem Strahlenkontrolleur, der für „Mahlzeit“–Leser prüft, geht der Streit gewaltig auf den Zeiger. „Die teuren Labors versuchen, wissenschaftlich verbrämt die billigen Institute zur Preisanhebung zu zwingen“, meint Wolfgang Mirlach, Mitarbeiter der Gesellschaft für interdisziplinäre Technologie (GfiT) aus Bernstadt bei Ulm. Umstrittene Ideen haben den jungen Wissenschaftler in den finanziellen Ruin getrieben. Mit einem gigantischen „1000 Bauern–Programm“ und jährlich 20.000 Proben wollte die GfiT den Übergang radioaktiver Substanzen in die Nahrungskette verfolgen, um den Bauern Anbau–Empfehlungen zu erteilen. Nach ursprünglichem Interesse an dem Projekt sprangen Unterstützer aus der Öko–Szene wieder ab. Zwischenzeitlich hatte Mirlach Geräte und Programme für 250.000 DM bestellt. Nachdem schon der Gerichtsvollzieher drohte, hat er inzwischen das fehlende Geld durch Aufträge zusammengekratzt. Überwachungsmessungen bei AKWs Über Geldprobleme klagen alle. Nur ein Institut, die Unabhängige Meßstelle Berlin“ (UMSB) hatte das Glück, die erforderlichen Geräte über ein Konzert „einspielen“ zu können. Typischer der Aufbau der Münsteraner GfS: Wissenschaftler aus der Anti–AKW–Bewegung taten sich im Juni zusammen, mobilisierten finanzkräftige Atomkraftgegner und ernährungsbewußte Menschen. Dank ihrer Spenden oder Darlehen stopfen seither drei unbezahlte Mitarbeiter Proben in die „Bleiburg“ des 80.000 DM–Apparates, rechnen am neuen Computer und führen lange Beratungsgespräche mit Kunden. In Abgrenzung zu „Geigerzähler– Scharlatanen“ oder „Bügeleisenfreaks mit simplem Kontaminationsmonitor“ will die GfS staatlichen Meßstellen seriöse Konkurrenz machen. „Wenn wir genügend Aufträge bekämen“, so ihr Traum, „hätten wir Geld, für Überwachungsmessungen in der Umgebung von AKWs“. Derlei Meßaktivitäten und Einzelinitiativen erscheint der AGöF nun aufgrund der entstandenen Verwirrung in Gefahr. Es dürfe nicht heißen, „unabhängige Labors machen nur Mist“. Gerade angesichts der zu erwartenden Spitzenbelastungen in Milch und Fleisch, als Folge des verstrahlten Heufutters, forderte die AGöF– Runde in Münster „genaue, an der Gesundheit orientierte, vergleichbare Messungen“. Um dieses selbstgesteckte Ziel zu erreichen, einigten sich die Anwesenden auf einheitliche Meßverfahren und Fehlerbereiche. Bei einer vorgewählten „Nachweisgrenze“ von 2 Bq Gesamtcäsium in Babynahrung und Grundnahrungsmitteln sollten demnach „die Meßbedingungen so gewählt werden, daß der Fehler der Messung nicht größer als 30 Prozent wird“. Grundsätzlich ungenauere Messungen mit Hilfe eines (billigeren) „Natrium–Jodid–Detektors“ sollten überprüft werden. Um ihre Präzision zu erhöhen, wollen die Öko–Labors sich verstärkt (staatlichen) Kontrollen ihrer Arbeit in Form sogenannter Ringversuche unterziehen. Petra Bornhöft