Streit um Terroristenabschuss: Jung macht alle ratlos
Der Verteidigungsminister bringt mit seinen Plänen zum Flugzeugabschuss die Unionskollegen in Erklärungsnot.
BERLIN taz Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) muss sich am Mittwoch im Bundestag für seine Äußerungen zum Abschuss entführter Passagierflugzeuge rechtfertigen. Die FDP hat eine aktuelle Stunde beantragt, weil sie sich - wie auch Grüne, Linke und Teile der SPD - über Jungs Ankündigung empört, er werde bei einer akuten Gefahr eines Terroranschlags aus der Luft trotz fehlender Rechtsgrundlage einen Abschussbefehl erteilen.
Jungs Erklärung, er könne sich auf einen "übergesetzlichen Notstand" berufen, reicht der Opposition nicht aus. Auch von Soldatenvertretern kommt laute Kritik. Der Bundeswehrverband rief die Kampfjet-Piloten sogar zur Befehlsverweigerung auf, falls ihnen der Auftrag zum Abschuss einer Passagiermaschine gegeben werden sollte. "Solange die Rechtslage nicht geklärt ist: Auf dieser Basis keinen Befehl ausführen", sagte der Verbandsvorsitzende Bernhard Gertz.
Offenbar hat Jungs Ministerium aber mit einer gezielten Personalauswahl bereits versucht dafür zu sorgen, dass Piloten einen solchen Befehl befolgen würden. In den zuständigen Fliegerstaffeln, den so genannten Alarmrotten zur Luftraumüberwachung, kämen nur Offiziere zum Einsatz, die "zur hundertprozentigen Befehlsausübung bereit sind", zitierte die Leipziger Volkszeitung einen Offizier.
In der SPD empfinden viele Jungs Vorstoß als Provokation. "Der Verteidigungsminister missachtet das Recht in einer Weise, die mir so bisher noch nicht untergekommen ist", sagte der innenpolitische Sprecher Dieter Wiefelspütz der taz. "Für dieses Schwadronieren habe ich kein Verständnis", sekundiert SPD-Mann und Innenausschuss-Vorsitzender Sebastian Edathy.
Zu einem offenen Krach zwischen den Koalitionären wird es jedoch kaum kommen. Die SPDler sind zwar genervt vom Ton des Verteidigungsministers, den sie inzwischen als genauso provokativ empfinden wie die ständigen Terrorwarnungen des Innenministers Wolfgang Schäuble (ebenfalls CDU). Den Inhalt von Jungs Aussagen teilen aber insgeheim viele Sozialdemokraten. Auch SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Struck hatte während seiner Amtszeit als Verteidigungsminister in der rot-grünen Regierung gesagt, dass er ein Passagierflugzeug unter Umständen abschießen lassen würde.
Unionspolitiker erinnerten zudem daran, dass es die frühere rot-grüne Regierung war, die das Luftsicherheitsgesetz zur Legalisierung von Flugzeugabschüssen beschloss, das vom Verfassungsgericht später für grundgesetzwidrig erklärt wurde. Deshalb gebe es jetzt eine "Regelungslücke", sagte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer. "Die SPD hat uns damals mit den Grünen eine Suppe eingebrockt, die sie sich jetzt weigert, auszulöffeln", schimpfte Ramsauer.
Die Union möchte mit einer Änderung des Grundgesetzes die Definition des Verteidigungsfalls ausweiten. Wie die Politik mit den restriktiven Vorgaben aus Karlsruhe zum Schutz von unschuldigen Menschen umgehen soll, kann sie aber nicht erklären. "Es gibt nicht nur eine Regelungslücke, sondern auch eine gewisse Ratlosigkeit", räumte Ramsauer ein.
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