Streit um Minarette: Bajonett an der Saar
Das Saarland hat seinen ersten Moscheestreit. In Völklingen tobt eine heftige Diskussion, ob die seit 20 Jahren dort ansässige Moschee ein Minarett erhalten soll.
VÖLKLINGEN taz | Eigentlich hoffte Helmut Tamblé, mit dieser Idee eine Eskalation zu verhindern. Ende Januar, bei der ersten und bislang einzigen Bürgerversammlung zum Minarettbau in Völklingen, forderte der Vorsitzende des Stadtteilforums die rund 200 Teilnehmer dazu auf, auf einem Kärtchen ihre Argumente aufzuschreiben. Also darzulegen, warum sie es gutheißen oder ablehnen, dass die Ditib-Moschee im Stadtteil Wehrden um ein Minarett ergänzt wird. Als die Kärtchen anschließend vorgelesen wurden, wurde allerdings deutlich: An einer Deeskalation waren viele der Anwesenden nicht interessiert, im Gegenteil.
"Wir werden von den Türken schleichend unterwandert!", hatte einer notiert. Ein anderer meinte, "dass sich die Türken erst einmal unserer Kultur anpassen sollen, bevor sie einen solchen Antrag stellen". Ein dritter Bürger glaubte, dass ein Minarett die Wohnqualität im Stadtteil beeinträchtigen würde, und gleich mehrere meinten, ein Minarett habe in "Deutschland nichts zu suchen", weil in der Türkei auch keine Kirchen gebaut werden dürften.
Die wenigen Befürworter verwiesen auf die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit und klagten bei ihren Mitbürgern "mehr Toleranz" ein. Und manche meinten, ein Minarett würde zur "Aufwertung des Stadtbildes" an der Saarpromenade beitragen. Die anschließende Debatte konnte die Fronten zwar nicht aufweichen, verlief aber immerhin weitgehend sachlich - auch deshalb, weil nicht jeder reden durfte.
Den anwesenden zwei Stadtratsmitgliedern der NPD hatte der Vorsitzende des Stadtteilforums schon gleich Redeverbot erteilt, "weil sie nicht im Viertel wohnen". "Ihr Pack!", rief ein Türke den Rechtextremisten daraufhin zu, was aber im Auditorium auf Missfallen stieß. Der Stadtverordnete und Ortsvereinsvorsitzende der NPD, Thorsten Kreis, durfte sich danach weinerlich über "gewaltbereite Türken beschweren, die unseren Bürgern Angst machen".
Als sich die Lage wieder beruhigt hatte, bat der Vorsitzende der Türkisch-Islamischen Gemeinde, Adnan Atakli, um Verständnis dafür, dass "wir an unserem Bauantrag festhalten werden". Denn eine Moschee müsse auch von außen als solche zu erkennen sein. Er versicherte den Anwesenden aber, dass man keine Beschallung des Viertels mit Lautsprechern wolle. Die Moschee in Wehrden solle mit dem Minarett "nur schöner" werden. Nach Schluss der Veranstaltung sagte ein anderes Mitglied der Gemeinde auf Nachfrage, dass ein Minarett zur Ausübung des Glaubens zwar nicht gebraucht werde, aber "die Zierde" jeder Moschee bilde.
Eine Aufhübschung könnte das triste Stadtviertel an der Saar zweifelsohne gut gebrauchen. Und das zwischen anderen Gebäuden eingeklemmte ehemalige Kino im Schatten der gigantischen Stahlkonstruktion Völklinger Hütte, das den Muslimen in Wehrden schon seit nahezu zwei Jahrzehnten als Moschee dient, ist von außen tatsächlich nicht als Gotteshaus zu erkennen.
Keinesfalls solle das Minarett, so versichern Mitglieder der Gemeinde, höher in den Himmel ragen als der Turm der benachbarten katholischen Kirche St. Josef. Schließlich sei ein Bauantrag für zwei Minarette mit jeweils über zehn Meter Höhe vor zwei Jahren von der Stadt abgelehnt worden. Jetzt gehe es nur noch um ein acht Meter hohes Minarett.
Für die erklärten Gegner, allen voran die NPD, sind das freilich Petitessen. Die saarländischen Neonazis, die bei der Landtagswahl im August 2009 eine empfindliche Niederlage wegstecken mussten, haben in der heftig geführten öffentlichen Debatte ein Fressen gefunden. Mit Flugblättern und Videobotschaften auf Youtube agitieren sie gegen den Moscheebau; auf der Homepage der NPD Saar können "besorgte Bürger" gegen das Bauvorhaben des Vereins der Türkisch-Islamischen Gemeinde unterschreiben.
Die Moschee "direkt bei unserem Weltkulturerbe Völklinger Hütte", klärt der Landesvorsitzende und Chef der zweiköpfigen Stadtratsfraktion in Völklingen, Frank Franz, in einem Video an "die deutsche Bevölkerung" auf, gehöre der islamischen Organisation Ditib. Diese sei der Kontrolle des "staatlichen Türkischen Präsidiums für Religiöse Angelegenheiten" unterworfen, das wiederum dem türkischen Ministerpräsidenten und "islamischen Fundamentalisten" Recep Tayyip Erdogan unterstehe. Deshalb sei die Moschee in Wehrden auch "ein Teil der Türkei". Mit dem Bau von Minaretten auf ihren Moscheen in Deutschland wolle Ditib demonstrieren, dass diese Gebäude alle "türkisch" seien. Schließlich habe Erdogan seine Landsleute dazu angehalten, Türken zu bleiben und nicht Deutsche zu werden. Dass dies "im Prinzip" den Vorstellungen der NPD entspricht, ist auch Franz aufgefallen. Dennoch, sagt er entschlossen, könne man "als Deutscher" den Bau von Minaretten in Deutschland nicht dulden, weil sie "Zeichen türkischer Herrschaft" seien.
Ganz allein hätte es die NPD allerdings wohl kaum geschafft, so viel Stimmung gegen das Minarett zu machen. Allein: Sie ist nicht allein. Die im Saarland monopolistische Saarbrücker Zeitung schlägt in dieselbe Kerbe.
In einem Kommentar wird ebenfalls Ministerpräsident Erdogan als Kronzeuge für einen sich bei "uns" mit Herrschaftsanspruch etablierenden militanten Islam in den Zeugenstand gerufen: "Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten", wird Erdogan darin zitiert. Bajonette aber seien "bei uns nicht willkommen". Die islamische Gemeinde in Wehrden solle ihre Pläne jetzt rasch "überdenken" und auf das provokante Minarett - das erste im Saarland überhaupt - verzichten.
NPD und Saarbrücker Zeitung in einer Front? Die Lokalzeitung jedenfalls wird inzwischen mit Leserbriefen überhäuft, von denen viele wegen der darin enthaltenen Hetze gegen türkische Bürger speziell und Menschen islamischen Glaubens generell erst gar nicht veröffentlicht werden. Doch auch die von dem Blatt online publizierten Leserkommentare unterscheiden sich kaum noch von denen der "Kameraden" auf der Website der NPD Saar. Und längst geht es nicht mehr um das eigentliche Thema, den Minarettbau in Völklingen, sondern um Ressentiments gegen Türken, Muslime oder Einwanderer überhaupt.
Und wie ist die Stimmung nach dieser Stimmungsmache von NPD und Saarbrücker Zeitung in dem eher ärmlichen Viertel der ehemaligen Stahlstadt tatsächlich? In Wehrden, sagt etwa die Stadtverbandsvorsitzende der CDU Völklingen, die Landtagsabgeordnete Gisela Rink, habe es "schon immer ein gut funktionierendes Miteinander" zwischen den Muslimen dort und der übrigen Wohnbevölkerung gegeben. Und auch einen "funktionierenden Integrationsprozess".
Als "ehrgeizig" bezeichnet Oberbürgermeister Klaus Lorig (CDU) denn auch das Integrationsprogramm der Stadt, deren Ausländeranteil 20 Prozent beträgt. Zugleich räumt er ein, dass es durchaus schon "Probleme mit eher integrationsunwilligen Türken" gerade in Wehrden gegeben habe. Lohrig jedenfalls ist davon überzeugt, dass der jetzt von der Türkisch-Islamischen Gemeinde geplante Minarettbau "von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung in ganz Völklingen strikt abgelehnt wird". Und dass der "Friede im Ort gefährdet" sei, falls es nicht doch noch zu einer "einvernehmlichen Lösung jenseits des Baurechts" kommen sollte.
Die Gemeinde versucht derweil, Überzeugungsarbeit zu leisten. Mitte Januar lud sie alle Bürgerinnen und Bürger zum Tag der offenen Tür in die Moschee ein. Man wolle zeigen, dass man "nichts zu verbergen habe" und sich die Gemeinde als "Teil der Gesellschaft in Völklingen" begreife, hieß es in der Einladung, der 250 Gläubige und knapp 40 "Ungläubige", darunter viele Kommunalpolitiker, folgten. In der Teestube der Moschee versuchte sich Oberbürgermeister Lorig dann als Mediator. Die Muslime bat er um Geduld. Als "ersten Schritt" schlug er den Bau der - auch beantragten - Kuppel auf der Moschee und die Einrichtung eines "Gesprächskreises" über alle weiteren Bauvorhaben der Gemeinde vor. Die Muslime versprachen, darüber "nachzudenken".
Im Rathaus der Stadt kursiert inzwischen das Gerücht, dass es dem Oberbürgermeister ohnehin nur darum gehe, die ganze Sache "zu verschleppen". Im Herbst nämlich sind in Völklingen Oberbürgermeisterwahlen. Und da möchte Lorig gerne wiedergewählt werden. "Lorig glaubt, dass sich seine Chancen auf eine weitere Amtszeit drastisch verringern, wenn er jetzt - wohl gegen den Mehrheitswillen in der Bevölkerung - den Muslimen nachgibt und den Minarettbau genehmigt", meinte denn auch ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung, der aber aus nachvollziehbaren Gründen anonym bleiben wollte.
Lorig selbst nannte die Vorwürfe im Gespräch mit der taz "dummes Zeug". Schon im März werde sich der Stadtrat mit der Angelegenheit befassen "und auch eine Entscheidung treffen". Zurzeit aber werde noch geprüft, ob die "Bauvoranfrage" der Türkisch-Islamischen Gemeinde allein nach baurechtlichen Gesichtspunkten "geprüft und beschieden" werden müsse oder ob - wozu er tendiere - auch eine politische Beurteilung der Sache notwendig sei. Aus seiner ablehnenden Haltung machte Lorig keinen Hehl. Mit der NPD und ihrer Hetze gegen Muslime, Moscheen und Minarette habe das nichts zu tun, sagt er dann, sondern "nur mit der ganz eindeutig auch ablehnenden Haltung der Bevölkerung in Völklingen".
Inzwischen haben Gegner des Minarettbaus auch schon einmal laut über die Beantragung einer Volksabstimmung gegen den Minarettbau nachgedacht - so delikat nach Schweizer Art.
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