Streit um Entsorgung: Alle wollen den Müll
Wem gehört der Abfall? Darüber streiten die Politik, private und öffentliche Entsorger. Das Nachsehen haben die Verbraucher: Die Tonnen im Hof werden immer mehr.
Am Anfang steht der Müll im Regal. Der Joghurtbecher, das Orangennetz, die Shampooflasche, sie alle werden gekauft und nicht direkt beim Händler entsorgt, sondern meist in der Küche in einen Behälter zwischendeponiert, ehe sie vor oder hinter dem Haus in einer Tonne landen. In einer Tonne, die grau oder schmutziggrün ist oder in der daneben, die blau ist, oder in eine von denen mit dem Loch im Deckel oder in die große gelbe. Oder, seit gut anderthalb Jahren, in eine große orangefarbene. Und da beginnt der Streit.
Seitdem die Berliner Stadtreinigung (BSR) im Juni 2009 zu den schon vorhandenen Mülltonnen ihre "Orange Box" gestellt hat, ist in der Stadt ein Kampf um die Abfälle der Haushalte entbrannt. Ein Konflikt, in dem es nur deshalb einen Waffenstillstand gibt, weil das Verwaltungsgericht entschieden hat, dass der private Konkurrent Alba seine "Gelbe Tonne plus" weiter stehen lassen darf. Vorerst. Eine endgültige Entscheidung fällt erst mit dem Hauptsacheverfahren.
Die Gelbe Tonne plus ist der Senatsverwaltung für Umwelt ein Dorn im Auge. Denn mit der Tonne sammelt Alba nicht nur Verpackungen, sondern auch kleine Elektrogeräte und Kunststoffe. Und diese Materialien sind attraktiv für Entsorger.
Die Biomüll-Tonne: Durchschnittlich 32 Kilo Küchenabfälle sammelte jeder Berliner 2008. Das macht im Bundesdurchschnitt den vorletzten Platz. Das liegt nicht daran, dass die Berliner so gut im Müllvermeiden wären.
Denn 256 Kilo Abfall landen laut BSR pro Jahr in der Restmüll-Tonne, das liegt deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Für deren Abholung zahlen die Hausbewohner je nach Größe und Häufigkeit der Abholung zwischen 32 und 309 Euro im Quartal.
In der Gelben Tonne sammelt das Privatunternehmen Alba Leichtverpackungen, die den Grünen Punkt tragen. In die Gelbe Tonne Plus gehören darüber hinaus Gegenstände, die keinen Grünen Punkt tragen, aber aus dem gleichen Material bestehen wie Verpackungen mit Grünem Punkt. Außerdem sollen Kleinelektrogeräte und Metalle in die Tonne.
In die Altpapier-Tonne gehören Papier und Karton. Zuständig für die Abholung sind hier die Firma Berlin Recycling, ein Tochterunternehmen der BSR, sowie verschiedene private Entsorger.
Die Glas-Container gibt es für farbloses und farbiges Glas. Keramik, Fenster- oder Spiegelglas gehören hier nicht rein, weil sie einen anderen Schmelzpunkt haben. Berlin Recycling und private Unternehmen holen die Tonnen ab.
Die Orange Box: Elektrokleingeräte, Metalle, Kunststoffe, Textilien und Holz will die BSR in der Orange Box sehen. Das Unternehmen beziffert das Potential auf 15 Kilo pro Einwohner und Jahr. Die Abholung ist für den Verbraucher kostenlos, die Tonne finanziert sich über die Restmüllgebühren. (sve)
"Durch die gesammelten Wertstoffe können Rohstoffe ersetzt werden", sagt BSR-Sprecher Thomas Klöckner. 13.000 Tonnen Holz könnten beispielsweise durch die Sammlung mit der Orange Box jährlich gewonnen und als Grundlage für die Papierherstellung genutzt werden. Zudem würden 2.500 Tonnen Metalle anfallen. In Elektrogeräten wie Handys finden sich außerdem seltene Erden - das sind Metalle, die nur an sehr wenigen Orten weltweit vorkommen. Und auch das, was sich nicht wiederverwerten lässt, hat einen Wert für den Entsorger: Es kann verbrannt und die daraus gewonnene Energie verkauft werden.
Doch in dem Konflikt geht es nicht nur um Holz und Metall, sondern auch um Abfälle, die zwar keinen Grünen Punkt tragen, aber aus dem gleichen Material sind wie die Verpackungen mit Grünem Punkt. Die ausrangierte Gummiente zum Beispiel. Nach Angaben von Alba fallen in Berlin jährlich 4.500 Tonnen dieses Abfalls an.
Die Verwaltung argumentiert, der in der Gelben Tonne plus gesammelte Abfall entziehe der landeseigenen BSR Haushaltsabfälle und stehe damit der öffentlichen Abfallentsorgung entgegen. "Es kann nicht sein, dass der kommunale Entsorger nur den Rest behält", sagt Marie-Luise Dittmar, Sprecherin der Senatsverwaltung für Umwelt. Diese hatte Alba die Sammlung mit der Gelben Tonne plus untersagt, wogegen das Unternehmen vor Gericht ging. Eine übermäßig schnelle Reaktion lässt sich der Verwaltung nicht vorwerfen: Die Alba-Tonne gibt es seit 2005.
Die Position der rot-roten Koalition ist eindeutig: Sie wünscht sich, dass die landeseigene BSR die lukrativen Abfälle sammeln darf. Diese Position steht durchaus im Einklang mit einer Politik, die die öffentliche Daseinsvorsorge wieder in kommunaler Hand sehen will, wie sie SPD und Linkspartei in den letzten Monaten postuliert haben. Dazu gehören zum Beispiel die Wasser- und Energieversorgung, aber auch die Abfallbeseitigung.
Doch ganz so einfach kann die Politik die Abfallentsorgung nicht komplett in die öffentliche Hand legen. Zum einen, weil die Entsorgung der Verpackungen über das Duale System ausgeschrieben wird. Hier zahlt der Verbraucher beim Kauf von Produkten mit dem Grünen Punkt, die über das Duale System gesammelt werden, die Entsorgung mit. Zum anderen, weil bei der Abfallentsorgung auch die Bundesebene eine Wörtchen mitzureden hat. Das Bundeskabinett hat Ende März ein Kreislaufwirtschaftsgesetz beschlossen. Das stärkt dem Land und BSR zumindest in einem Punkt den Rücken: Bis 2015 soll es nur noch eine Wertstofftonne geben, so sieht es auch eine EU-Richtlinie vor. Doch ob diese Tonne kommunal sein soll oder privat, ob die Sammlung direkt vergeben werden darf und wie das dann mit der Ausschreibung des Dualen Systems funktionieren soll, das muss noch extra geregelt werden. "Bis Ende des Jahres sollen Eckpunkte vorliegen", sagt ein Sprecher des Umweltministeriums.
So lange bastelt die rot-rote Koalition in Berlin weiter an einem eigenen Abfallwirtschaftskonzept. "Wir bevorzugen eine Sammlung in kommunaler Trägerschaft", sagt Dittmar. Das werde auch in das Abfallwirtschaftskonzept aufgenommen, das im Mai in den Umweltausschuss gehen soll. "Wir sind der Meinung, dass es keiner zusätzlichen Tonne bedarf", sagt dagegen Alba-Sprecherin Verena Köttker. Auch Alba fürchtet um seinen Markt.
Doch was gehört nicht nach politischen, sondern nach ökologischen Gesichtspunkten in eine Wertstofftonne? Das hat das Umweltbundesamt (UBA) in einer Studie untersucht. Das Ergebnis: Abfall, der zwar keine Verpackung ist, aber aus dem gleichen Material besteht wie Verpackungen, die jetzt schon in der Wertstofftonne entsorgt werden, gehörten auf jeden Fall rein. Schließlich lasse sich dem Verbraucher nicht vermitteln, dass der Plastikbecher in eine Tonne gehört, die Plastikente in eine andere. Und ökologisch sinnvoll sei das auch nicht.
Das UBA listet auch eine Reihe von Materialien auf, die nach Meinung der Wissenschaftler in einer Wertstofftonne nichts zu suchen haben. Textilien gehören dazu, Gummi und Holz. Metalle, Textilien und Holz will die BSR aber ausdrücklich in ihrer Orange Box sehen. "Textilien aus dem Abfall sind verschmutzt und lassen sich nicht mehr verwerten", kritisiert die Umweltberaterin und Expertin für Abfallwirtschaft, Gudrun Pinn. Bei anderen Materialien sehen die UBA-Wissenschaftler vor allem technische Probleme: Gummi lasse sich nicht sortieren oder verwerten, und sperriges Holz könne sogar das Sortieren anderer Stoffe behindern.
Außerdem ist unklar, wo der Abfall, der in der Orange Box landet, sonst entsorgt worden wäre. Im Pilotversuch waren das laut BSR 17 Kilo auf Einwohner und Jahr gerechnet. Anfangs seien die Tonnen ein bisschen voller, weil die Leute Gegenstände entsorgen würden, die vorher im Keller gestanden hätten, vermutet BSR-Sprecher Klöckner. Er beziffert das Potenzial der Orange Box auf 15 Kilo pro Einwohner und Jahr. Das entspreche sechs Gewichtsprozent dessen, was sonst in der grauen Tonne lande.
Doch ob entsprechend weniger Müll in der grauen Restmülltonne landet, hat die BSR nicht evaluiert. "Meine Vermutung ist, dass einfach Wege zum Recyclinghof gespart werden", sagt Pinn. Damit würde aber nicht mehr getrennt, sondern nur an einem anderen Ort.
Die Umweltberaterin schlägt daher eine ganz andere Lösung vor: Ökologisch sei es am besten, eine Wertstofftonne wie derzeit die Gelbe Tonne plus flächendeckend aufzustellen. Zusätzlich könne optional ein Container wie die Orange Box angeboten werden, in die auch Materialien wie Holz und Textilien dürfen. Was von einem kommunalen und was von einem privaten Entsorger abgeholt werde, sei dabei sekundär. Doch dürfe angesichts der ganzen Mülltrennung die Vermeidung von Abfall nicht aus den Augen verloren werden.
Pinn kritisiert auch, dass die Orange Box derzeit kostenlos erhältlich ist. Ihre Kosten werden von der Allgemeinheit über den Restmüll mitfinanziert. "Nicht alles, was ökologisch wertvoll ist, ist auch ökonomisch wertvoll", sagt BSR-Sprecher Thomas Klöckner dazu. Doch genau den ökologischen Wert stellen das UBA und die Umweltberaterin infrage.
Derzeit liegt der Streit um die Tonnen beim Verwaltungsgericht, das im Hauptsacheverfahren entscheiden muss. Eine außergerichtliche Einigung halten weder BSR noch Alba oder die Umweltverwaltung für möglich. Doch auch, falls das Gericht die Gelbe Tonne plus untersagt, haben die Verbraucher immer noch zwei Tonnen für ähnliche Abfälle im Hof stehen: die Gelbe Tonne für die Verpackungsabfälle und die Orange Box.
"Wir wollen, dass beide Seiten das gemeinsam lösen", sagt daher Felicitas Kubala, umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Die Unternehmen könnten sich die Stadt untereinander aufteilen oder ein Mischsystem zwischen Sammeln und Verwerten finden und sich gegenseitig auszahlen. Ähnliche Systeme werden auch im Bundesumweltministerium diskutiert. Denn eigentlich will niemand, dass der Verbraucher noch mehr trennen muss.
"Das Sortieren sollte einfacher werden", sagt Abfallexpertin Pinn. "Der Kunde will für sich die einfachste Lösung", sagt die Grüne Kubala. "Man will es möglichst einfach haben, klar", sagt Dittmar von der Umweltverwaltung. Zunächst mal wird es aber für mehr Kunden mehr Tonnen geben: Die BSR will das System der Orange Box von derzeit 20.000 auf 170.000 Tonnen ausdehnen. Die flächendeckende Aufstellung hat bereits begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag