Streit um Beuys-Kunst: Die fetten Jahre sind vorbei
Joseph Beuys stellte 1964 live im ZDF aus Margarine-Riegeln eine Fettecke her. Fotos der Aktion dürfen nicht mehr gezeigt werden, entschied nun ein Gericht.
Jetzt ist das Fett weg! Eva Beuys hat es einfach weggewischt. Seit Jahren schon war es der Witwe des 1986 verstorbenen Künstlers Joseph Beuys ein Dorn im Auge gewesen. Dieser hatte 1964 Margarineriegel in die Ecke eines ZDF-Fernsehstudios geschmiert, mit Schokolade gemalt und einen Spazierstock mit Fett verlängert – und sich dabei filmen und fotografieren lassen.
18 Fotos, aufgenommen von dem vor drei Jahren verstorbenen Fotografen Manfred Tischer, sind von diesem Happening erhalten geblieben. Sie lagern gut gehütet in den Archiven des Beuys-Museums Schloss Moyland am Niederrhein. Und dort werden sie wohl vorerst auch bleiben. Das hat nun ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf verfügt. Denn das Recht am Fett gehört der Witwe. Egal, ob es dreidimensional in einer Ecke verschimmelt oder zweidimensional auf einem Foto konserviert ist. Fett bleibt Fett.
Bereits 2010 urteilte die Vorinstanz, das Landgericht Düsseldorf, dass Tischers Bilder nur eine "Umgestaltung des bewegten Originalwerks ins Statische" seien. Das Urheberrecht liege somit nicht bei dem Eigentümer der 18 Fotografien, sondern bei der Rechtsnachfolgerin des Künstlers, Eva Beuys.
Schwerer erinnerbar
Es ist ein Rechtsspruch mit Konsequenzen; nicht nur für die Fotografie. Performance und Happening, Kunstgattungen, die immer schon streng an bestimmte Zeiten und Räume gebunden waren, werden zukünftig schwerer erinnerbar sein. Das Einzige, was sonst noch von jener Performance erhalten ist, die der schrille Schamane vom Niederrhein vor fast fünfzig Jahren im Studio der ZDF-Produktion "Drehscheibe" veranstaltet hatte, ist das mit Schokolade beschmierte Plakat.
Darauf zu lesen ein fast prophetischer Satz: "Das Schweigen von Marcel Duchamp wird überbewertet." Beuys hatte diese Sentenz niedergeschrieben, nachdem er seine Fettecke zu Ende geschmiert hatte. Doch da das ZDF heute nicht einmal mehr über Aufzeichnungen von diesem Happening verfügt, wird wohl auch Beuys Schweigen in Zukunft so überbewertet sein wie das von Duchamp.
Die österreichischen Aktionisten waren in dieser Hinsicht immer schon klüger. Rudolf Schwarzkogler etwa, Hermann Nitsch oder Günter Brus – sie haben sich bei ihren radikalen und provokanten Aktionen stets sehr bewusst fotografieren lassen. Für sie waren Fotografien nicht lästiges Dokument eines genialen kreativen Prozesses; sie waren nützliche Medien bei der Vermarktung und Erinnerung.
Neue künstlerische Ausdrucksformen und erweiterte Kunstbegriffe bedeuteten für Beuys Wiener Kollegen stets auch gute interdisziplinäre Nachbarschaft. Fotografen wie Michael Epp, Siegfried Klein oder Walter Kindler werden daher heute in Österreich fast ebenso bewundert wie die Kunstaktionisten der frühen Sechziger Jahre. Es gibt nicht wenige, die sogar glauben, dass erst das fruchtbare Wechselspiel zwischen Performance und Fotografie Letztere endgültig kunstfähig gemacht habe.
Entscheidet am Ende der Bundesgerichtshof?
Noch ist zu hoffen, dass das Düsseldorfer Urteil nicht endgültig ist. Simon Bergemann, Anwalt des Museums Schloss Moyland glaubt, dass der Streit am Ende vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe landen wird. Ungezählte deutsche Fotografen würden ihm einen solchen Schritt sicherlich danken. Denn der aktuelle Rechtsspruch hat weitreichende Folgen für fast jeden in der ohnehin stark angeschlagenen Branche – egal, ob er seinen Bildern nun einen eigenständigen künstlerischen Wert beimisst oder ob er sie nur als dokumentarisches Beiwerk versteht.
Aufnahmen von Theateraufführungen oder Tanzveranstaltungen müssten zukünftig ganz neu eingeschätzt werden. Einst war jedes Bild eine Interpretation von einer vorgefundenen Wirklichkeit. In Düsseldorf aber ist das Bild selbst zur Wirklichkeit erklärt worden. Die Fotografie hat ihr Fett wegbekommen – nicht mittels ästhetischen Diskurses, sondern durch einen richterlichen Urteilsspruch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Protest gegen Kies- und Sandabbau
Der neue Kampf gegen Gruben