das wichtigste : Streit mit neuen Opfern
Nach Protesten mit Todesfolge in Libyen tritt Italiens Agent provocateur Roberto Calderoli, Lega Nord, zurück
ROM taz ■ Nach der versuchten Erstürmung des italienischen Konsulats im libyschen Bengasi hat Italiens Minister für Verfassungsreformen, Roberto Calderoli, Samstag seinen Rücktritt eingereicht. Zugleich versuchten Regierungschef Silvio Berlusconi und Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi in einem längeren Telefonat die Krise beizulegen, während Außenminister Gianfranco Fini demonstrativ die Moschee in Rom besuchte.
Ausgelöst hatte die Krise der Minister von der Lega Nord, indem er neues Öl aufs Feuer des Karikaturenstreits goss. Zu Beginn letzter Woche hatte Calderoli verkündet, er habe die „sechs lustigsten“ der zwölf dänischen Karikaturen auf ein T-Shirt drucken lassen. Mittwochabend dann knöpfte er bei einem TV-Interview sein Hemd auf und gab einen kurzen Blick auf eine Karikatur frei.
Berlusconi und sämtliche Koalitionspartner außer der Lega Nord gingen daraufhin sofort auf Distanz zu Calderoli, ohne jedoch seinen Rücktritt oder eine Entschuldigung zu fordern. Freitagnachmittag eskalierte dann die Situation im libyschen Bengasi; etwa 1.000 Demonstranten zogen vor das italienische Konsulat, schlugen erst die Scheiben im Erdgeschoss ein und versuchten dann, am Eingang ein Feuer zu legen. Daraufhin schoss die libysche Polizei in die Menge; 11 Tote und etwa 50 Verletzte blieben zurück.
Italiens Position drohte damit in der islamischen Welt noch kritischer zu werden als die Dänemarks; schließlich hatte sich in Italien ein Regierungsmitglied demonstrativ mit den Karikaturen – und nicht nur mit dem durch die Meinungsfreiheit garantierten Recht auf ihre Veröffentlichung – identifiziert. Der Regierungschef hat nicht das Recht, einen Minister zu entlassen; Berlusconi machte aber in einer Note noch Freitagabend klar, dass er Calderolis Haltung als „inkompatibel mit der Wahrnehmung eines Regierungsamts“ betrachte. Eine Haltung, die die Lega in den letzten Jahren dauernd demonstrierte, ohne dass es Berlusconi groß aufgefallen wäre; so mobilisierte die Lega im norditalienischen Lodi gegen den Bau einer Moschee, indem sie kübelweise Schweinejauche auf das Gelände kippte.
Als Calderoli am Samstag dann doch zurücktrat, machte er klar, dass dies kein Schuldeingeständnis sei. Er habe bloß der Instrumentalisierung seiner Person „gegen die Lega Nord, wie sie leider auch Vertreter der Regierungsmehrheit vornehmen“, vorbeugen wollen. Er ließ wissen, dass die T-Shirts mit den Propheten-Karikaturen erst einmal im Schrank bleiben, verkündete aber sofort, er habe ja „jetzt die Hände frei“ und wolle sich ein neues Unterhemd fertigen lassen, mit dem Slogan „Ich bin stolz, Christ zu sein“. Kein Problem für Italiens rechte Allianz: Sämtliche Partner versicherten nach Calderolis Rücktritt, das Bündnis mit der Lega Nord für die Wahlen am 9. April stehe natürlich nicht in Zweifel.
MICHAEL BRAUN