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Streit der WocheStoppt die Bahn-Privatisierung

Die S-Bahn in Berlin stürzte ins Chaos, weil die Bahn sie für den Börsengang ausquetschte, schimpfen Politiker. Ein Börsengang könnte so etwas verhindern, argumentieren Freunde der Privatisierung.

Leere auf Berlins Innenstadtbahnhöfen. Hilft hier eine Privatisierung gegen das Chaos? Bild: ap

BERLIN taz | Trotz des Chaos' im Berliner Nahverkehr wollen die Verfechter der Bahnprivatisierung das Projekt nicht begraben. Der FDP-Fraktionsvize im Bundestag, Rainer Brüderle, schreibt im "Streit der Woche" der sonntaz, schuld an den Problemen in Berlin sei der rot-rote Senat in Berlin. "Er hätte die S-Bahn wenigstens teilweise ausschreiben müssen“. Das Problem sei nicht die Privatisierung, schreibt der FDP-Politiker. Verkehr auf der Schiene und Logistik sei keine staatliche Aufgabe. Das eigentliche Problem sei die Monopolstellung der Bahn.

Bei der zur Deutschen Bahn AG gehörenden Berliner S-Bahn gilt für die kommenden Monate ein Notfahrplan, weil Fahrzeuge überprüft werden müssen. Kritiker werfen der Bahn vor, an Sicherheit gespart zu haben, um die Bilanzen für den geplanten Börsengang aufzuhübschen.

Dieses Argument grenze an "Volksverdummung", schreibt der ehemalige Vorsitzender des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel. Im Gegenteil: die Probleme in Berlin und der allgemeine Zustand vieler Streckenführungen und Bahnhöfe zeigten, dass die Privatisierung der Bahn überfällig sei. Um zu investieren, brauche die Bahn frisches Kapital, und das gäbe es nur an der Börse. Der Bund falle als Kapitalgeber wegen der hohen Verschuldung sowieso aus.

Bild: taz

Den ganzen Streit der Woche lesen Sie in der sonntaz vom 24./25. Juli 2009 - zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.

Der ehemalige Bundesvorsitzender der Lokführer-Gewerkschaft Gdl, Manfred Schell, schreibt hingegen: der Bundestag als Vertreter des Bahneigentümers müsse eine eindeutige Entscheidung gegen den Börsengang der Deutschen Bahn treffen. Ein neuer Versuch, die Bahn in die Börse zu bringen, würde vor allem auf Kosten der Belegschaft, der Qualität und der Verkehrssicherheit gehen, schreibt der Gewerkschafter in der sonntaz.

Zudem dürfe das Mehdorn'sche Prinzip: „wir fahren nur noch das, was sich rechnet“, mit der Folge, dass Städte mit unter 300.000 Einwohnern vom ICE-Verkehr abgekoppelt werden, nicht mehr verfolgt werden. „Der Eigentümer hat die Pflicht, seinem Unternehmensvorstand zu sagen, welche Bahn er in Deutschland haben will“, schreibt Manfred Schell.

Ebenso gegen eine Privatisierung spricht sich in der sonntaz der britische Labour-Abgeordnete Jeremy Corbyn aus. Die Erfahrungen mit der Privatisierung der staatlichen Britisch Rail in den 60er Jahren seien schlecht. Das Argument, die Bahn käme den Steuerzahler nach der Privatisierung billiger, sei „völliger Unsinn" gewesen. Im Gegenteil: der Staat müsse zur Subventionierung von neuen Schienenabschnitten und zur Unterstützung von Dienstleister nun viel mehr zahlen als vor der Privatisierung.

Im "Streit der Woche" äußern sich neben Brüderle, Henkel, Schell und Corbyn der Vorsitzende der Monopolkommission Justus Haucap und Ragnar Nordström Chef der Violia Verkehr, die unter anderem die Privatbahn Interconnex betreibt. Und taz.de-Leser Ulrich F. J. Mies, der es als eigentlichen Skandal betrachtet, dass die Privatisierung jemals „auf den Tisch kam“.

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8 Kommentare

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  • SM
    Stephan Müller

    Es gibt eine grundlegende Rolle des Staates, Bereitstellung von Infrastruktur, Energie, Wasser, Abwasserentsorgung und Müllentsorgung.

    Damit ist garantiert, dass dafür der praktikabelste Preis bezahlt werden muss und die Qualität hoch bleibt. In England ist die privatisierte Bahn und Wasserversorgung ein Beispiel, was für Auswirkungen eine Privatisierung hat. Ein Unternehmen will/muss Gewinne machen, um zu überleben. Nachdem in den letzten Jahren alle Unternehmen sich an Platz 1 der Weltrangliste drängeln wollen, können Gewinne nur realisiert werden, wenn die Kosten gedrückt werden. Kosten drücken heißt, den Service zu verschlechtern, notwendige Wartung zu unterlassen und alles möglichst billig einzukaufen und möglichst teuer zu verkaufen.

    Es kann nicht die Aufgabe des Staates sein, wenige Unternehmen/Banken zu unterstützen und sich dafür Handlungseinschränkung durch mangelnde finanzielle Mittel zu "erkaufen" (Thema Bildungsnotstand, mangelnde personelle Besetzung z.B. bei Polizei, etc...) und sich bis in die nächste Generation zu verschulden - nein. Die Grundaufgaben des Staates sind die oben beschriebenen, inkl. der Schaffung des Handlungsfreiraumes für die Entwicklung seiner Bürger. Dafür bekommt der Staat unser Geld. Nicht dafür, eine Bahn an die Börse zu peitschen, unser Wasser zu verkaufen, uns von wenigen Anbietern für Energie abhängig zu machen. Das sollten wir uns im Wahljahr im Hinterkopf behalten.

  • AO
    A. O. (Student in Berlin)

    *seufz*

    Jetzt wird gegen die S-Bahn ermittelt. Das ist gut, richtig und notwendig, aber nicht hinreichend!

    Hoffentlich wird im Anschluss auch geprüft, inwieweit vom Mutterkonzern genug finanzieller Handlungsspielraum gewährt wurde, um alle gesetzlichen Auflagen zu erfüllen. Man kann nicht jemanden verantwortlich machen für etwas, wofür er nichts kann.

     

    Alles andere ist Bauernopferei und unehrlich - DAS ist Volksverdummung! Der Fisch stinkt vom Kopfe her! Ich sage nur: das Studium in vollen Zügen genießen!

  • M
    Matthias

    Dass Henkel diesen Blödsinn, die Bahn könne sich NUR an der Börse Geld besorgen, auch hier verzapfen darf... Die Bahn kann genauso gut Unternehmensanleihen ausgeben, die ihre Käufer ganz sicher findet, weil dank des Bahn-Eigentümers Staat die Bonität des Konzerns gut ist und damit die Anleihen ein sehr gutes Rating erhalten würden. Es gibt also andere Wege - die Bahn muss nicht an die Börse.

  • M
    M.R.

    Für kritische Berichterstattung ist es vermutlich jetzt zu spät. Zu Zeiten als die Frage der Bahnpriv. noch wirklich offen war und eine objektive Berichterstattung von Nöten gewesen wäre, wurden einem lauter PRO Argumente um die Ohren gehauen. "Besser spät als nie" ist da ein schwacher Trost. Dieses Hinterherhinken der Meinungsbildung ist leider überall zu beobachten.

     

    Mit freundlichen Grüssen,

    M. R.

  • K
    KiN-Berlinerin

    Dass an der Sicherheit gespart wird, wenn es zu einem Börsengang kommt, stimmt nicht ganz. Denn gespart wird schon längst - nicht nur am Service (der sollte durch den Konkurrenzdruck ja eigentlich verbessert werden) und am Personal, sondern auch an der Sicherheit. Nur sagen möchte das verständlicherweise niemand. Der Wettbewerb auf der Schiene ist mittlerweile extrem hart, kein Wunder also, dass eingespart wird wo es nur irgend geht. Neue Schienenfahrzeuge werden nicht mehr wie vor der Privatisierung üblich auf Herz und Nieren getestet, bevor sie in den Betrieb gehen, vielmehr heißt es heute "gereift beim Kunden". Viele Neufahrzeuge sind technisch unzuverlässig und störanfällig. Welcher Fahrgast kennt es nicht: liegengebliebene Züge "aufgrund einer technischen Störung", gestörte Klimaanlagen und WCs, Türstörungen, etc. Wenn Störungen auftreten, werden Züge häufig nicht aus dem Betrieb genommen, da heißt es "kein Ersatz", sondern müssen weiterlaufen, bis die Störung sich dann so verfestigt hat, dass gar nichts mehr geht. Bei einigen Firmen kommt es vor, dass Loks mit Schäden, für die eine sofortige Zuführung in die Werkstatt vorgeschrieben ist, noch tagelang auf der Schiene unterwegs sind. Gleisschäden werden manchmal erst nach längerer Zeit repariert, die Strecken wachsen mit Grünbewuchs zu, Signale gehen häufig einfach im Grün unter, bis zur Unkenntlichkeit. Das Personal wird immer kürzer ausgebildet und muss heute z.T. alleine die Arbeit machen, für die vorher drei Leute da waren. Schon mal ein richtiges Bahnchaos erlebt und versucht, eine Servicekraft zu finden, die weiterhelfen kann? Ende 2008 brachte die Sendung "Report Mainz" eine Reportage mit dem Titel "Schlafende Lokführer im Führerstand: Wie die Bahn ihr Personal mit Überstunden überfordert". Damals haben sich viele Eisenbahner gewundert, dass "es nun doch endlich mal jemand mitbekommen hat". An der Sicherheit wird gespart - massiv. Seit Jahren. Das ist nicht nur ein Problem der Bahn, sondern auch vieler Privatbahnen die versuchen, sich am Markt zu behaupten indem sie -so gibt es der Wettbewerb vor- die Kosten drücken. Ausschreibungen gewinnt in der Regel schlicht der billigste Anbieter. Wettbewerb hat zwar auch Vorteile. Wer jedoch behauptet, es würde heute (und erst recht nach einem Börsengang) nicht an der Sicherheit gespart, hat beide Augen ganz weit geschlossen. Beispiele gibt es viele - an die Öffentlichkeit kommen sie selten. Für Journalisten, die wirklich mal hinter die Kulissen schauen wollten, gäbe es viel Interessantes zu entdecken.

  • S
    Schulz

    Berlin wird es schon aushalten, dass im Moment die Haelfte aller Zuege nicht faehrt.

    Das haftet wenigstens im Gedaechtnis.

    Dann werden die restlichen noch verkehrenden Einheiten besser ausgelastet und die uebrige Menschheit sucht sich etwas anderes oder bleibt zuhause. Laufen ist auch gut.

    Welche Laender haben Privatbahnen?

    Gibt es ueberhaupt Vergleichsmoeglichkeiten?

    Wer natuerlich die Qualitaet eines Produktes vor einem geplanten Verkauft senkt, macht sich schuldig. Das nannte man frueher Wirtschaftskriminalitaet. Einerseits fuer Null verkaufen, andererseits als Einzelkaeufer oder Unternehmer auftreten, evtl. noch Basispapiere und Patente miterwerben, damit eine neue Produktionsreihe (entgangener Gewinn fuer Staatsunternehmen) eingefahren wird, dies auf mehrere Generationen und einige Laender oder Kontinente ausgelegt, lohnt sich doch?

    Deshalb halte ich vom Kapitalismus nicht allzuviel, solange die Grundrechte der eigenen Bevoelkerung auf Unversehrtheit und Beschaeftigung vernachlaessigt werden.

    Gerechtigkeit erhoeht ein Volk, aber die Suende ist der Leute Verderben. Alte Propheten.

    Wo Leute ... unterdrueckt werden, ist eine unmenschliche und antigoettliche Gesellschaft.

    Sozialismus als Alternative?

    Wenn denn nicht die Habgier waere!

    Das Uebel aller Menschen oder Gesellschaften.

  • S
    Stephan

    Wie gut Privatisierung und Investitionen in diese Strukturen passen, laesst sich gut am Beispiel Londons bzw. UK ablesen.

    Von der Halboeffentlichen "Tube" die im System des "Transport for London" integriert ist profitieren die Fahrgaeste indem die Ticketpreise auch mal fallen.

    Die railway versinkt durch die komplette Privatisierung in einem Chaos, sowohl was die Vernachlaessigung der Infrastruktur als auch die schlechte Koordination und Unuebersichtlichkeit der Fahrplaene und Ticketpreise angeht.

    Das Berliner Verkehrssystem ist in einem weitaus besseren Zustand als es der London Underground ist, weshalb es meiner Meinung nach auch keinen Kapitalisierungsbedarf gibt.

    Das laesst sich ueber die Fahrpreise und Ruecklagenbildung regulieren, solange keine Muttergesellschaft die Hand aufhaelt.

  • AL
    Andreas Lehmann

    ... warum kauft sich eine Deutsche Bahn im großen Stil in Asien und Polen ein und hat zugleich kein Geld für Personal, um im Inland sicheren und pünktlichen Verkehr zu bieten?

    Muss die Deutsche Bahn erst von chinesischen Investoren übernommen werden, damit sie so funktioniert, wie sie vorgibt zu funktionieren?

    Ich finde keine vernüftigen Antwort auf diese Fragen ...