Streit der Woche: "Merkels Euro-Rezept ist gefährlich"
Das Verhalten der Bundesregierung bedrohe ganz Europa, kritisiert die italienische Gewerkschafterin Susanna Camusso. Sie fordert einen europäischen Wachstumsplan
Die Vorsitzende der größten italienischen Gewerkschaft CGIL Susanna Camusso hat das Vorgehen der deutschen Bundesregierung in der Eurokrise scharf kritisiert: "Das Rezept der Europäischen Zentralbank und der Kanzlerin Merkel ist gefährlich für alle." Die enormen Opfer die Griechenland auferlegt würden und die zu knapp bemessene Hilfe könnten das Wachstum nicht fördern, schreibt die Gewerkschafterin im „Streit der Woche“ der sonntaz.
"Doch ohne Wachstum kann kein Land Ordnung in seine öffentlichen Finanzen bringen." Den griechischen Staatsanleihen werde weiterhin misstraut, Europa verlange weitere Einschnitte, die Arbeitslosigkeit werde steigen und die Armut um sich greifen, prognostiziert Camusso. "Ein Land in tiefer Rezession wird am Ende zahlungsunfähig. Und seine Pleite bringt auch für die Kreditgeber keinerlei Ertrag."
Um die Rezession und den Zusammenbruch des Euro zu verhindern, brauche es "einen europäischen Plan für Wachstum und Arbeit", für den sich die europäischen Gewerkschaften einsetzen müssten.
Der Korrespondent der Irish-Times Derek Scally, hält das Vorgehen der Bundesregierung zwar für richtig. Er fordert jedoch von der Kanzlerin besser zu erklären, "dass Deutschlands Reform-Erwartungen nicht zu hart sind."
Statt zu erläutern, "warum die Bundesrepublik mit Ordnungspolitik gut gefahren ist und wie das jetzt einem jungen arbeitslosen Griechen helfen soll", halte Kanzlerin Merkel seit zwei Jahren immer die selbe Rede. "Ob Studenten oder Sparkassenverband, immer dasselbe: Europa schrumpft und altert, wir müssen uns anstrengen", schreibt Scally der sonntaz.
Dabei sei ihre Kernbotschaft erklärbar: "Erst echte Reformen, dann echte volkswirtschaftliche Impulse." "Es wäre mehr als schade", schreibt Scally, "wenn Berlin die Eurodebatte machtpolitisch gewinnt, aber die breite Zustimmung verliert."
Übermäßige Härte
Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag verteidigt die Sparpolitik der Regierung. Da Griechenland die seit langem vereinbarten Reformen bis heute nicht umgesetzt habe, könnten "IWF und Eurozone nicht einfach weiteres Steuergeld in Griechenland investieren."
Niemand in Europa wolle die staatliche Souveränität Griechenlands außer Kraft setzen, erklärt der CDU-Politiker und fordert: "Allerdings erwarten wir angesichts der enormen Garantiesummen und der großen Risiken für die Eurozone, dass Regierung und Bevölkerung die Probleme des Staates dauerhaft und unwiderruflich an der Wurzel packen."
Auch die Philosophin Annegret Stopczyk kann in dem Vorgehen der Bundesregierung keine übermäßige Härte erkennen. Europa sei "ein loser Zusammenschluss von Nationalstaaten zum Zwecke jeweils wirtschaftlicher nationaler Vorteile." Die Kanzlerin werde solange bereit sein, Kreditvergaben zu unterstützen, wie es zum Vorteil von Deutschland gereiche.
Für Griechenland sei es "inzwischen kein Vorteil mehr, am Euro beteiligt zu sein", schreibt Stopczyk . "Mit einer neuen eigenen Währung hätten sie die Freiheit sich selber und ihre Wirtschaft neu zu orientieren."
Der mehrmalige französische Minister und jetziger Senator Jean-Pierre Chevènement erklärt im Streit der Woche, warum seiner Meinung nach das deutsche Modell auf andere Länder nicht übertragbar sei. Außerdem diskutieren die Professorin für Europäische Integration Tanja Börzel, taz.de-Leserin Susanne Commerell und der Botschafter der Republik Polen Marek Prawda über die Frage "Eurokrise: Ist Deutschland zu hart?"
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