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Streit der Woche„Aus dem Richter wird ein Kaufmann“

Soll der Staat mit Angeklagten Deals schließen? Das fördert Geständnisse, sagt die frühere Justizministerin Brigitte Zypries. Heribert Prantl kontert.

Die frühere Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) verteidigt die gesetzliche Regelung von „Deals“. Bild: ap

Am Mittwoch, 7. November, verhandelt das Bundesverfassungsgericht darüber, ob es zulässig ist, Gerichtsverfahren durch so genannte „Deals“ zu vereinfachen. Dabei handeln Richter, Verteidiger und Staatsanwaltschaft ein Urteil aus – wenn der Angeklagte gesteht. So sollen Strafprozesse verkürzt werden.

Die frühere Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat die gesetzliche Regelung darüber verteidigt. In einem Beitrag für den „Streit der Woche“ in der sonntaz vom 3./4. November schreibt sie: „Deals fördern Geständnisse.“ Dafür erhielte der Angeklagte einen sicheren Rahmen, in dem sich die Strafe bewegen wird. Unter Zypries war die umstrittene Praxis der Urteilsabsprachen gesetzlich verankert worden.

„Kommt die Verständigung zustande, ist die Urteilsfindung einfacher, die Begründung leichter, der Instanzenweg kürzer“, schreibt Zypries. Nach Ansicht der früheren Ministerin sprechen mehr Transparenz und eine Entlastung der Gerichte für die gesetzliche Regelung. Es habe auch davor Absprachen gegeben, Verteidiger und Richter aber hätten sie verdeckt ausgehandelt. „Das war eines Rechtsstaats unwürdig“, schreibt Zypries in der taz.

Die Wahrheit wird nicht ermittelt, sondern vereinbart

Der Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und frühere Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Nešković, dagegen kritisiert die gesetzliche Deal-Regelung: „Das Strafgesetzbuch ist kein Handelsgesetzbuch. Ein 'Deal' bedeutet, dass die Wahrheit nicht ermittelt, sondern zwischen den Beteiligten vereinbart wird“, schreibt Nešković. Wahrheit und Gerechtigkeit blieben dadurch auf der Strecke.

Bild: taz
sonntaz

Den kompletten Streit der Woche und viele spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 3./4. November 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

Nešković moniert, dass der Deal finanziell Bessergestellte bevorzuge, weil sich Reiche teure Anwälte leisten können, die mit dem Gericht verhandeln. Das führe zu einem Zweiklassenstrafrecht. Er fordert in der taz: „Der Deal muss gesetzlich verboten werden. Die Gerichte müssen stattdessen personell so ausgestattet werden, dass sie auch komplizierte und langwierige Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren ohne Deals führen können.“

Heribert Prantl, Jurist und Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, sieht historische Parallelen: Papst Leo X., der in ständiger Geldnot war, habe einst den Ablasshandel eingeführt, schreibt er in der sonntaz. Die Gläubigen konnten sich zu festen Tarifen Sündenvergebung erkaufen. Fünfhundert Jahre später sei dieses System, das Aushandeln von Strafen, ins deutsche Strafrecht übertragen worden.

„Aus dem Richter wird ein Kaufmann, so wie damals aus dem Priester ein Händler wurde.“ Er schlussfolgert: „Damals, vor fünfhundert Jahren, zerbrach an solchem Ablasshandel der Glaube an die Kirche; heute wird daran der Glaube an das Recht zerbrechen.“

Die sonntaz-Frage „Soll der Staat mit Angeklagten Deals schließen“ beantworten außerdem Edda Weßlau, Strafrechtlerin und Direktorin am Zentrum für Europäische Rechtspolitik, Andrea Voßhoff, rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans Kudlich, Strafrechtsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg und Endrik Wilhelm, Fachanwalt für Strafrecht, der im März ein Grundsatzurteil zum „Deal“ erstritten hat – in der sonntaz vom 3./4. Oktober 2012.

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11 Kommentare

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  • A
    anke

    Auch eine Logik: Wenn ein illegales Vorgehen "eines Rechtsstaats unwürdig" ist, muss man es einfach nur legalisieren. Ich frage mich, welche Vorstellung von Würde Frau Zypries hat. Wahrscheinlich hält sie es für den Gipfel der Würde, wenn man sich alles, was man sich eigentlich erarbeiten sollte, schenken lässt von Leuten, die ängstlicher, schwächer oder dümmer sind als man selbst. Nun ja. Mit dieser Vorstellung dürfte sie ja immerhin nicht ganz allein sein.

     

    Nein, ich glaube nicht, dass die SPD noch oder wider ein Problem hat mit der Zwei-Klassen-Gesellschaft. Nicht oberhalb der Kreisebene und auf gar keinen Fall da, wo etwas abfällt vom großen Kuchen. Aber wieso soll es auch ausgerechnet der SPD besser gehen als dem Rest der westlichen Werte-Gemeinschaft? Ein Führungs-Problem ist ein Führungs-Problem ist ein Führungs-Problem ist ein...

  • I
    ion

    Und wer seine Straftat schon vor der Ausführung notariell beglaubigt hinterlegt, bekommt fast jede und verminderte Strafzumessung auf Bewährung? C o o l !

     

    Und nicht nur das trifft zu:

    "Nešković moniert, dass der Deal finanziell Bessergestellte bevorzuge, weil sich Reiche teure Anwälte leisten können, die mit dem Gericht verhandeln.";

    Schon seit Langem finden Betroffene u.U. keinen freiberuflichen Rechtsanwalt mehr, wenn der auf Prozesskostenhilfe Angewiesene einen solchen Vertretungsberechtigten sucht, denn: kein Freiberufler kann gezwungen werden, einen Rechtsstreit für lächerliche, vom Staat gewährte Erstattungen gemäß Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) zu übernehmen. Nein, das gesamte Justizsystem ist längstens zum "Kaufmann"-sladen verkommen.

    Pech gehabt‽

  • RB
    Rainer B.

    Wozu sollen die Ermittlungsbehörden eigentlich noch eindeutige Beweise für oder gegen die Schuld eines Angeklagten sammeln, wenn die vor Gericht ohnehin keine Rolle mehr spielen?

     

    Die bisher bekannt gewordenen 'Deals' haben regelmäßig nur Unbehagen bei der Öffentlichkeit verursacht. Klassenjustiz wird damit natürlich einfacher, aber genau das ist ein Schritt in die falsche Richtung.

     

    Eine gut funktionierende Justiz braucht vor allem die breite Akzeptanz möglichst aller Bevölkerungsschichten, sonst läuft sie früher oder später ins Leere. Mit den 'Deals' wird diese Akzeptanz noch weiter verlorengehen.

  • E
    Eulenspiegel

    Die Justiz geht mit der Zeit.Die mittelalterliche Justiz will keiner mehr haben und die "neoliberalistische" ist auch keine mehr.Wenn das System zum "Abfall" wird,dann wird die Dienstleistung auch zum Müll. Gerechtigkeit gab es noch nie-, aber man sollte sich wenigstens bemühen.

  • ZB
    Özgür Bozkurt

    Der Deal ist ein Verbrechen. Da bekommt jemand einen Haftbefehl, man kommt ins U-Haft. Man hat Angst um Job und Arbeit zu verlieren. Nach paar Tagen kommt der Anwalt und ratet, alles zu gestehen, damit man strafmildernd davonkommt. Schließlichßlich habe der Richter sowieso den Eindruck, dass man es war, sonst wäre man ja nicht in U-Haft. Die meisten Menschen in Deutschland wissen nicht, dass ein Richter einzig und allein aufgrund seines eigenen Eindrucks (freie Beweiswürdigung) Strafen aussprechen darf.

    Tür und Tor für einen Unrechtsstaat ist geöffnet.

  • M
    Mike

    In Garmisch-Partenkirchen war es ein offenes Geheimnis, dass Richter, Staatsanwälte und Anwälte sich abends am Stammtisch treffen und die Urteile aushandeln. Die eigentliche Gerichtsverhandlung war dann nur noch eine Farce. Ebenso ist es ein offenes Geheimnis, dass gerade einige bundesweit bekannte Strafverteidiger auch mit großen Staatsanwaltschaften Deals aushandeln. Dieses aushandeln ist besonders perfide, weil es dem Strafverteidiger um seinen Ruf geht. Das geht oft nach dem Motto, für den brauche ich einen Freispruch, dafür schenke ich euch einen anderen.

     

    An der Praxis ändert es nichts, ob Ersteres (Stammtisch) legal ist oder nicht. Es findet ohnehin statt. Höchstens ein Anwalt von auswärts, der sich dieser Praxis nicht beugt, könnte eine echte Gerichtsverhandlung erreichen, allerdings gegen den erbitterten Widerstand sowohl der Staatsanwaltschaft als auch der Richter. Das bekommt sein Mandant dann auch spätestens beim Strafmaß zu spüren, weshalb ortsansässige Anwälte, die die Gepflogenheiten kennen, bevorzugt werden.

     

    Im kaiserlichen China gab es eine Praxis, die ich vorbildlich finde. Für große Prozesse wurden Richter aus weit entfernten Provinzen geholt. Da sie vorher die Beteiligten nicht kannten, waren unwürdige Deals weit gehend ausgeschlossen.

     

    Mit Wahrheitsfindung haben viele deutsche Strafprozesse ohnehin, ob mit oder ohne Deal, kaum etwas zu tun. Ich kenne einen renommierten Anwalt in München, der aus gutem Grund keine Strafprozesse führt. Ihm ist die Praxis in Strafprozessen schlichtweg zuwider.

     

    Selbst im Strafvollzug spielen Deals und "kleine" Gefälligkeiten an zuständige Richter eine bedeutende Rolle. Schließlich geht es auch dort um viele Kann-Entscheidungen (Halbstrafe, ein Drittel Erlass, Freigänger und manches andere mehr). Die deutsche Justiz erscheint mir gelegentlich schon wie ein riesiger Sumpf. Mal abgesehen davon, dass sich auch noch die Politik einmischt, Staatsanwälte müssen schließlich, anders als beispielsweise in Italien, Weisungen befolgen. In Italien ist dafür die Politik ein einziger großer Sumpf, gegen den die Justiz kaum ankommt. Aber Sumpf haben wir auch mehr als genug in der Politik.

  • U
    Ubuntu

    Diese inkompetente Nachtwächterin meinte doch tatsächlich, dass man Menschen die sich in den Terrorcamps in Afganistan haben ausbilden lassen, bei ihrer Rückkehr nicht bestrafen dürfe, weil sie ja evtl.

    auch geläutert seien.

    Auf die Frage,was der Bürger machen soll wenn ihm in der U-Bahn Gewalt droht, sagte sie lapidar:

    das Abteil wechseln.

    Bei solchen Politikern wird einem angst und bange.

  • L
    lowanorder

    Schön, daß rechtzeitig zu Karlsruhe eine Untersuchung aus der Kategorie

    Rechtstatsachenforschung zum Dealen in Gerichtssälen auf den Tisch kommt.

    Ergebnis: Richter sind Menschen. Wie bei der Polizei auch: was erlaubt ist, machen wir auch und sowieso - aber Hallo. Und wo die von uns für " zielführend" eingeschätzten Grau- bis Dunkelgrau liegenden " Grenzbereiche" liegen, entscheiden allein wir.

     

    So fitte und langjährig berufserfahrene Kappen wie die (teils ehem.) Bundesrichter Wolfgang Nescovic und Thomas Fischer haben vielfältig und Cato-like

    auf die unabweisbaren Gefahren dieser rechtsstaatswidrigen Deals-Unkultur hingewiesen.

     

    Brigitte 'Bundesstrippenzieherin' Zypries redet hingegen, wie zuvor ihre Vorgängerin im Amt, Hertha Däubler-Gmelin, wie der Blinde von der Farbe.

    Diese, in der Wolle gefärbte Unerfahrenheit, insbesondere im Hinblick auf das richterliche System konnte ich bei beiden Damen - jeweils als Ministerin - hautnah, nunja bewundern.

    Mal kurze Zeit Rechtsanwältin oder Hiwi beim Bundesverfassungsgericht reicht einfach nicht. Punkt.

     

    Beide waren in ihren "Reformbemühungen" vorrangig davon angetrieben, Personal und damit Geld im Justizsystem zu sparen.

    Genau in diese Wunde aber legen Nescovic wie Fischer den Finger

    in der Deal-Frage, neben der Asozialität, die darin steckt ( ich sage nur Zumwinkel & Co).

     

    Auch hier zeigt sich: die Bundesrepublik braucht - wie Italien, Spanien, Portugal -

    die Conseil-Lösung; einen Obersten Rat der Richter mit Personalhoheit und Budgetecht; damit die Dritte Gewalt auch dieser Republik endlich die Verfasstheit erhält,

    die den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht.

     

    Das Gerichtsverfassungsgesetz - von 1877!! - ist ein vordemokratisches Gesetz und gehört endgültig auf den Schindanger der Geschichte

  • T
    T.V.

    Mehr Anpassung an die Wirtschaft ist von den großen Parteien doch zu erwarten. Tatsächlich hat das dann mit den großen Worten Wahrheit und Gerechtigkeit nicht mehr viel zu tun.

  • W
    Weinberg

    Die Justiz der Bananenrepublik Deutschland ist (k)eine Vertrauensangelegenheit!

     

    Von den Deals profitiert insbesondere die Weiße-Kragen-Kriminalität - und daran werden weder das Bundesverfassungsgericht noch der Gesetzgeber (gelobt sei die aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen bestehende Große Deutschland-Koalition!) etwas ändern.

  • S
    Synoptiker

    Das kommt uns doch bekannt vor, auch der Doktor ist Kaufmann, ja Unternehmer geworden.

    Richter bekamen zuerst Gutachter an die Seite gestellt, doch die Urteilsfindung wurde weder beschleunigt noch wurde sie gerechter. Nun muss der Deal her, um überhaupt noch so etwas wie zügige Rechtsprechung zu gewährleisten. Doch was Fr. Merkel recht ist, (am kommenden Sonntag wird wie auf dem Basar gehandelt, damit Regierungs-Kontinuität vorgetäuscht wird), kann den Richtern nicht versagt werden!

    Also - die Merkel-Krise erfasst inzwischen alle Lebensvollzüge unserer Gesellschaft. So wird diese Frau auch in die Geschichte eingehen: Merkel - die Unvollendete ! Und Deutschland war ihr all zu williges Opfer.