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Streit der Woche Ostalgie„Die DDR ist mausetot“

Im Gedächtnis lebt die DDR weiter, ist SPD-Politiker Thierse überzeugt. Für den Leiter des DDR-Altagsmuseums Ludwig ist sie hingegen nur mehr historischer Gebrauchsgegenstand.

Endete damals die DDR oder lebt sie heimlich weiter? Bild: ap

BERLIN taz | In den Köpfen und Erinnerungen der Menschen existiere die DDR weiter, schreibt der letzte Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel, im Streit der Woche in der sonntaz. „Es ist wichtig, dass sie ihre Wurzeln mitnehmen.“ Die Existenz einer Ost-Identität sei für ihn selbstverständlich und er erkennt gerade darin die Stärke von Menschen wie Angela Merkel und Lothar de Maizière: „Sie haben Erfolg, gerade weil sie einmal alles aufgeben mussten“, zeigt er sich in der sonntaz überzeugt.

Zwanzig Jahre nach Unterzeichnung des Einigungsvertrags, stellt sich die Frage inwieweit Deutschland nun zusammengewachsen ist. Kann man heute noch von Ost und West sprechen? Sind Unterschiede zwischen den Bundesländern noch auf die Trennung zurückzuführen? Einige denken noch mit nostalgischen Gefühlen an die DDR zurück, während diese Zeit für andere nur mehr ein Kapitel in den Geschichtsbüchern ist.

Laut SPD-Politiker Wolfgang Thierse gibt es die DDR noch – im Gedächtnis der Ostdeutschen: „In Anfällen von Nostalgie, die auch kommerziell geschürt werden.“ Vierzig Jahre DDR hätten außerdem Prägungen hinterlassen: ein „Gleichheitsbedürfnis vieler Ostdeutscher“ zum Beispiel oder eine autoritäre Einstellung zur Politik und die „Gewöhnung an die Fürsorge des Staates“.

taz

Den gesamten Streit der Woche finden Sie in der aktuellen sonntaz vom 28./29. August 2010 - ab Samstag mit der taz am Kiosk oder direkt in ihrem Briefkasten.

Die DDR existiert höchstens noch in den Köpfen einiger Wessis, wie beispielsweise Edmund Stoiber, findet hingegen Ska Keller, Grünen-Politikerin und EU-Abgeordnete. „Wir sollten nicht länger versuchen, Ost und West krampfhaft zu definieren“, meint die 28-jährige Brandenburgerin. Unterschiede in Deutschland würden nicht von einer Ost-West-Grenze abhängen, sondern eher von den Faktoren Stadt und Land, Alter oder Herkunft. Die Westdeutschen sollten die imaginäre Mauer in ihren Köpfen einreißen, fordert sie in der sonntaz.

Für Andreas Ludwig, Leiter des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR, ist die DDR „mausetot“. „Sie ist so vergangen, wie andere Gesellschaften dieser Zeit auch“, schreibt er, „Und doch ist sie im Spiegel der Gegenwart Teil einer Erinnerungskultur“. Ihre Präsenz verdanke die DDR vor allem der Gegenwart. Im internationalen Tourismus genauso wie im Gedächtnis der Miterlebenden. In der politischen Debatte, gebe es die DDR noch als negativen Kontrast zu heute.

Im Streit der Woche äußerten sich zudem der ehemalige DDR-Korrespondent Peter Pragal, die Mitautorin von demTheaterstück „Staats-Sicherheiten“, Lea Rosh, und Kanu-Weltmeisterin Katrin Wagner-Augustin.

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10 Kommentare

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  • D
    diplom_hartzi

    Auch wenn mir klar ist, dass die Touris, die ich im Osten treffe, meist alle einer sozialen Schicht, dem Bildungsbürgertum, entstammen, meine ich, die DDR gibt es noch: Im unterschiedlichen Rollenverhalten. Selbstverständliche Kranführerin oder (nur mittlerweile unfreiwillig erwerbslose) Bauingenieurin hier; zu ihren gutverdienenden, ständig belehrenden und bewertenden und selbstverständlich bezahlenden Männern aufschauende, zugespachtelte Frauen, die höchstens Teilzeit-Sozialpädagogin oder Esoterk-Wellness-Coach mit Zugehfrau zu Hause sind, dort.

    Vor diesem Hintergrund haben sich m.E. auch Ost- und Westfrauenbewegung noch nicht angenähert, sozial betont hier, biologisch (mit absolutem Männerausschuss) dort.

    Kulturell fällt mir sofort die mdf-Figaro-Lieblingsbuchumfrage ein: Günter Grass und Martin Walser fehlen völlig (dürfe aber in einer taz-Leserumfrage wohl ähnlich ausfallen.)

  • H
    Holger

    Ich denke kaum noch an die DDR. Wenn man aber bewusst beide Systeme erlebt hat, kann man natürlich bestimmte Situationen vergleichen.

    Das führt mich regelmäßig zu dem Ergebnis, dass mir beides nicht gefällt. Vor allem dann, wenn auf die DDR ( mit all Ihren negativen Seiten ) geschimpft wird und die heutige "Demokratie" ( wo immer sie ist ) gepriesen wird.

  • S
    Schulz

    Und was wird in 30 Jahren sein,

    50 Jahre nach der DDR

    oder in 50 Jahren,

    70 Jahre nach der DDR?

    Welche Gemeinsamkeiten

    weisen dann Europa

    und Deutschland auf?

    Amerikanischer?

    Russischer?

    Vielvoelkerstaat?

    Oder einfach eine Verschmelzung

    mehrerer Kontinente?

    Interessante Entscheidungen?

  • L
    linsenspaeller

    Wetzlmaier hat erkannt: [Zitat]"In der politischen Debatte, gebe es die DDR noch als negativen Kontrast zu heute." Aber wie viel Krampf notwendig ist, um diese Metapher auch weiterhin frisch und farbecht zu halten, davon wird nicht gesprochen. Das erinnert mich an Verwandte, die bis in die siebziger Jahre hinein meinten, das Dritte Reich sei trotz aller Widrigkeiten ihre beste Zeit gewesen. Na klar, weil sie in der Zeit jung waren.

     

    Damals sah ich darin in erster Linie ein Armutszeugnis für die Generation der Nachgeborenen. Also - für uns, ja, zum Teufel! - auch für mich!

     

    Und heute? Inzwischen ergeht es mir selbst nicht anders. Ich schätze mal, keine 3% meiner Gedanken drehen sich um die Geschichte gewordene DDR. Aber es war meine beste Zeit. Wer den Brief von Biermann in der "Welt" diese Woche gelesen hat, weiß: Bei dem war es umgekehrt. Angeblich! Wäre doch interessant jetzt, nach dem Zeugnis zu fragen, ohne Schuldzuweisung versteht sich.

  • B
    Beobachter

    Relativieren wir doch mal diese Aussage:"Manche haben sich an die Fürsorge des Staates (DDR)gewöhnt."

    Der Kapitalismus arbeitet doch nach dem gleichen Prinzip, nur dass es hier andere Gruppen und Menschen sind die bevorzugt, gefördert, bereichert werden!

     

    Allerdings ist dieses Prinzip raffinierter psychologisiert und greift als unsichtbare Hand in alle Lebensbezüge ein. Es ist ethisch so verkommen, dass viele Menschen sich immerzu freiwillig prostituieren, zum Beispiel um Arbeitsplätze und Jobs. Es zielt in seiner Substanz auf die Vernichtung der Menschenwürde. Nicht einmal die Kirchen gehen dagegen vor!

     

    Dieses Prinzip wird "so lange zum Brunnen gehen", bis die natürlichen Ressourcen aufgebraucht bzw.der Klimawandel uns den Garaus machen.

  • N
    Name

    Dass zwanzig Jahre nach dem Ende der DDR immer noch die Trennung von Ost und West beschworen wird, ist enttäuschend. In meiner Generation (25-35) merke ich davon zum Glück nichts mehr. Als "Ossi", der im "Westen" lebt, erfahre ich tagtäglich, dass dies überhaupt kein Thema ist. Selbst bei der Frage nach dem Geburtsort findet die gedankliche Verbindung (im Kopf der anderen) zur DDR nicht statt. Viele sind sich gar nicht mehr bewusst, dass die dann genannten Städte zu dem Zeitpunkt ja DDR waren. So lange aber eine solche Debatte künstlich am Leben gehalten wird, gibt es natürlich auch Menschen mit Vorurteilen und anderen Verblendungen. Den Rest wird dann aber die Zeit erledigen, denn es werden bald mehr Generationen ohne DDR-Erinnerung als mit existieren und dann ist die DDR nur ein Eintrag in den Geschichtsbücher und einzelne Eigenheiten werden dann dem Schmelztiegel Kultur beigemischt sein.

  • GM
    gerhard monsees

    ddr tot? kann nicht sein. so grau und gleichgeschaltet wie es jetzt in Deutschland geworden ist.

  • Y
    yetzt

    Ich habe eben auf den Flattr-Button geklickt, damit ihr euch endlich ein Rechtschreibprüfprogramm kaufen könnt, wenn sich schon niemand die Teaser eurer Feature-Artikel durchliest.

     

    Viel Spaß noch im Altlast-, Altglas-, Atlas- oder wie auch immer -Museum.

  • M
    Männe

    Frau Ska Keller hat vollkommen Recht.

    Nieder mit der Ostalgie?

    Immer wieder spielt sich ein Volldepp mit gekräuselter Stirn (Bernhard Vetter) und geübt hochgezogenen Augenbrauen auf, indem er seine verlogene Taktik, die er in seiner BRD Journalistenschule gelernt hat, auch mal in der Praxis anwenden möchte, ohne Gefahr zu laufen, sich weh zu tun.

    Also ganz schnell an die Ossi-Wessi - Problematik ran und dümmliche Sprüche über den Osten bzw. über Ossis gemacht, die nicht so schnell lernen wollen, dass der Westen das El Dorado der Wahrheit ist.

    Aber was ein gewisser Herr Bernhard Vetter da bringt, schießt doch den Vogel ab.

    Er prahlt:

    "Ja, ich bin Wessi. Wenn Ihnen diese Info reicht, brauchen Sie jetzt nicht mehr weiter zu lesen. Es könnte ja sein, dass Sie der Ansicht sind, ich wäre unqualifiziert oder befangen und dürfe deshalb nicht über die DDR schimpfen."

    Sie selbst bezeugen:

    "Außerdem habe ich die DDR nur an einem einzigen Tag Mitte der 80er Jahre am eigenen Leib erlebt. Aber es gibt darüber hinaus auch objektive Wahrheiten, denen sich niemand –ob aus Ost oder West stammend– verschließen kann."

    "In meiner Erinnerung ist die DDR grau. Über die breiten und größtenteils leeren Prachtstraßen Ost-Berlins hoppelten grotesk kleine Autos, die nicht nur aus einer anderen Zeit zu stammen schienen, sondern es tatsächlich waren. Unter angestrengtem Reng-teng-teng zogen sie mühsam blaue Rauchwolken hinter sich her." [Herr Vetter, der Poet...]

  • V
    vic

    Eine Ost-Idendität zu haben wie Sie sagen,

    ist in der BRD nur dann verpönt wenn man Mitglied der Partei Die Linke ist.

    Ostdeutschland existiert übrigends nach wie vor.

    Es liegt geografisch im Osten Deutschlands.