Streit Russland-Ukraine spitzt sich zu: Gazprom drosselt Gas für Ukraine
Russischer Gasmonopolist reduziert seine Lieferung an die Ukraine um ein Viertel. Beim Streit um Zwischenhändler könnte die Ukraine die Kontrolle über eigene Pipelines verlieren.
LWIW taz Der russische Monopolist Gazprom hat am Montag seine Gas-Lieferungen an die Ukraine um 25 Prozent gekürzt. Der Gas-Export nach Westeuropa werde aber weiterhin gewährleistet bleiben, sagte ein Sprecher des Energie-Konzerns. Gazprom sei ein "zuverlässiger Gaslieferant". Nach Angaben des staatlichen ukrainischen Energieunternehmens Naftogaz hat die reduzierte Ausfuhr keinen spürbaren Einfluss auf die Bevölkerung. Naftogaz bezifferte die Gas-Kürzung um etwa ein Viertel niedriger als Gazprom.
Von verkürzten Gaslieferungen in die Ukraine waren vor zwei Jahren auch deutsche und andere westeuropäische Verbraucher betroffen: 80 Prozent des für Europa bestimmten russischen Erdgases fließen durch die Ukraine. Der jüngste Streit nährt in europäischen Ländern Sorgen vor erneuten Lieferengpässen.
Der Gasstreit mit Russland, der enorme Energieverbrauch, die maroden Kohlegruben - die Regierung von Julia Timoschenko hat alle Hände voll zu tun. Doch wenn sie sich mit den Reformen im Energiesektor durchsetzen will, muß sie den Widerstand zahlreicher Lobbyisten brechen.
Vor einigen Tagen wurde den Einwohnern einer Plattenbausiedlung in Dnipropetrowsk - ausgerechnet in der Heimatstadt von Timoschenko - die Heizung abgestellt. Der Grund -Zahlungsrückstände der Heizwerke bei dem Gaslieferanten Naftogaz. Dabei haben die Haushalte ihre Rechnungen meist fleißig gezahlt. Aber die Gaspreise für die Bevölkerung werden subventioniert, und so kommen die Heizwerke nicht auf ihre Kosten. Der Schuldenberg wächst.
Timoschenko sieht die Ursache für die prekäre Situation in den Verträgen mit Russland. Seit dem Gasstreit mit Moskau Anfang 2006 wird das russische und turkmenische Erdgas von einem ominösen Zwischenhändler geliefert - an der Rosukrenergo AG sind Gazprom und der ukrainische Oligarch Dmytro Firtasch beteiligt. Auf dem ukrainischen Markt wird es an zahlungskräftige Kunden aus der Wirtschaft exklusiv von Ukrgasenergo verkauft - einer Tochter von Rosukrenergo und des ukrainischen Staatsmonopolisten Naftogaz. Dem letzteren bleiben lediglich Problemkunden - die Bevölkerung und die maroden Stadtwerke. Dieses Schema lässt zahlreiche Korruptionsaffären zu und treibt Naftogaz in eine Schuldenfalle. Sie wurde von vielen Experten als Gefahr für die nationalen Interessen des Landes kritisiert. Einige warnen, dass das Schreckenszenario, bei dem Gazprom für die Schulden der Naftogaz AG die Kontrolle über die ukrainische Pipeline übernehmen könnte, gar nicht so unrealistisch ist.
Timoschenko will die Zwischenhändler ausschalten und zu direkten Verträgen zwischen Gazprom und Naftogaz zurückkehren. Doch dabei stößt sie auf heftigen Widerstand - nicht nur in Russland, sondern auch im eigenen Land. Präsident Viktor Juschtschenko hat neulich die Regierung für ihre Energiepolitik heftig kritisiert - er warf Timoschenko vor, dass sie die von Juschtschenko und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am 12. Februar getroffene Vereinbarung untergraben wolle. Diese sieht zwar auch den Verzicht auf Rosukrenergo und Ukrgasenergo vor, dafür sollen aber zwei neue Zwischenhändler gegründet werden - das eine Joint Venture soll das Gas liefern, das zweite wird es auf dem ukrainischen Markt zusammen mit dem Gas aus der ukrainischen Produktion verkaufen. Immerhin fördert das Land jährlich rund 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas, etwa 30 Prozent vom Gesamtbedarf. An beiden Joint Ventures sollen Gazprom und Naftogaz jeweils zu 50 Prozent beteiligt sein. Auf diese Weise könnte Gazprom den Zugang zu den ukrainischen Gasmarkt durch die Hintertür bekommen. Die Ukraine könnte dann die Kontrolle über den eigenen Gasmarkt verlieren, argumentiert Kostjantyn Borodin, Direktor des ukrainischen Instituts für Energieforschung.
Präsident Juschtschenko will den "bestmöglichen« Preis für russische Gaslieferungen aushandeln. Doch der "gute Preis" ist eine Illusion, wenn man dafür politische oder wirtschaftliche Zugeständnisse machen muß. Für 2008 wurde der Gaspreis auf 179 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter festgelegt, doch auf Dauer ist der weitere Anstieg unvermeidlich. Früher oder später muß sich die Ukraine auf Preise von über 300 Dollar orientieren, es kann höchstens eine Übergangsperiode geben, meint Wladimir Milow, Präsident des russischen Instituts für Energiepolitik.
Oder auch nicht - wenn die Zwischenhändler weg sind, droht Russland, das Gas ab sofort zu einem Preis von 313 Dollar zu verkaufen. So steht die Regierung Timoschenko vor einer schwierigen Herausforderung. Die Chancen, mehr Transparenz bei den Gaslieferungen zu erreichen und Zwischenhändler auszuschalten, scheinen nicht besonders groß zu sein. Moskau sitzt am längeren Hebel und nutzt dazu geschickt die Tatsache, dass die ukrainischen Politiker untereinander zerstritten sind und sich bei Verhandlungen nicht mal auf eine gemeinsame Position einigen können.
So will sich Timoschenko nach Alternativen umsehen, um die Abhängigkeit des Landes von den russischen Energielieferungen zu verringern. Dazu soll nach ihren Vorstellungen das White-Stream-Projekt beitragen. Die Pipeline, an der die Europäische Union grundsätzlich das Interesse gezeigt hat, soll das Gas aus der Kaspischen Region über das Schwarze Meer und die Ukraine nach Europa bringen - als Ergänzung zu der von Russland bevorzugten South Stream und dem EU-Projekt Nabucco.
Im Inland setzt Timoschenko dagegen weiterhin auf Kernenergie. Das noch 2005 während ihrer ersten Regierungszeit ausgearbeitete Energiekonzept sieht bis 2030 den Bau von elf neuen Reaktorblöcken. Sie sollen die alten Reaktoren ersetzen und den Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion, der heute bereits bei rund 50 Prozent liegt, erhöhen. Nur für die Energieeinsparung wird in Kiew wenig getan - die Ukraine verbraucht immer noch rund 70 Millardeen Kubikmeter Erdgas jährlich. Und an die Reform der hochsubventionierten und maroden Kohlewirtschaft wagt sich Timoschenko auch nach den letzten Grubenunglücken im vergangenen November mit knapp 100 Toten Kumpeln erst gar nicht heran - sie hat sich im Jahr 2000 als Vizepremierministerin bei ihrem ersten Reformversuch der Branche die Finger verbrannt.
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