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Streetart in YogjakartaDie Polizei als Auftraggeber

Yogjakarta auf der Insel Java wird durch eine lebendige Streetartszene ganz bunt. Das ist Kunst für den öffentlichen Raum, ohne Preisschilder.

Findet dort überall Anerkennung: Streetart Foto: Markus Kirchgessner

Andernorts mögen die Nächte ja katzengrau sein, nicht so in Yogjakarta, der Kinderstube der javanischen Kultur und einem der letzten aktiven Sultanate Indonesiens. Hier wird, wenn die größte Hitze gewichen ist, wenn die Einheimischen unter rappelnden Ventilatoren langsam in ihre Kissen sinken und auch die letzten Touristen sich auf den Weg in ihr Hotel machen, die Stadt erst richtig bunt. Zumindest in den Nächten, an denen die Jungs von YORC oder FSK (Flameable Seven Kids) die Spraydosen in ihre Backpacks packen, ihre Basecaps oder Hoodies über den Kopf ziehen und sich auf ihren Mopeds in der Stille der Nacht auf den Weg zur Arbeit machen.

Die eigentliche Arbeit, denn tagsüber sind sie Kellner, Taxifahrer, Designer oder Lehrer. Die Währung der Nachtschicht heißt fame. YORC steht für Yogjakarta Art Crime, eine Gruppe von Streetart-Künstlern, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihre Stadt klammheimlich ein bisschen farbiger zu gestalten.

LOVEHATELOVE, SAVE, MUCK und PLUS03, die Spezialisten in posters, murals, logos, stencils und writings, trudeln nach und nach in ihrem Headquarter, dem winzigen Café Sellie Coffee, ein. Rolly alias LOVEHATELOVE ein, wie er sagt „full-time-artist“, ist so etwas wie der König der Szene, MUCK, der junge Wilde unter ihnen: Schmutzig müsse Streetart sein, illegal und aufrichtig, zerstörerisch und schön, findet er. MUCK hat sich mit seinen writings, bei denen es darum geht, seinen eigenen Stil zu entwickeln und den eigenen Namen kunstvoll auf so vielen Wänden wie möglich zu hinterlassen, in der Hierarchie der Szene hochgesprüht. Das writing ist die Form der ­Selbstdarstellung unter den Sprayern.

Aber: Wer keinen guten style hat, kann sprühen, so viel er will, er wird niemals fame erreichen. „Natürlich sind wir alle Narzissten“, sagt Sabiq alias SAVE. Während die Graffitiszene in Europa und den USA bereits wieder im Aussterben begriffen scheint oder sich satt im kommerziellen Kunstbetrieb etabliert hat, ehemals illegale Straßenkunst bekannter Sprayer wie etwa die des Amerikaners Banksy Preise von mehreren hunderttausend Euros erzielt und ganze Wände für ein piece oder ein mural abgetragen werden, geht es hier erst richtig los.

Neu ist das nicht, aber schön

Von fetten Erlösen für ihre Werke sind die indonesischen Sprayer weit entfernt. Das Honorar für einen „wall“ – Auftrag liegt bei 10 Euro pro Meter; Auftraggeber sind meist Unternehmen und auch schon mal die Polizei im Rahmen einer Antiterrorkampagne. Das monetäre Nahziel dieser Künstler ist es, über den öffentlichen Raum einen Job als Designer oder Grafiker zu finden; so wie Sabiq, der Exsprayer, der inzwischen als Freelance-Werbedesigner arbeitet und nur noch „nebenher“ sprüht: „Von irgendwas müssen wir ja leben.“

Kurzporträt

Yogjakarta: Die Stadt liegt an der Südküste Javas, der Hauptinsel des Indonesischen Archipels. Die Stadt mit ihren 500.000 Einwohnern gilt als das geistige und kulturelle Zentrum der Insel und ist eine der Haupttouristenattraktionen auf Java.

Sonderregion: Die Stadt beherbergt die meisten und die prestigeträchtigsten Universitäten des Landes, unter anderem die Gadjah-Mada-Universität (UGM), die sowohl die erste öffentliche Uni des Landes war als heute noch deren größte Universität ist, sowie das Indonesian Institute of the Arts (Institut Seni Indonesia – ISI). Yogja ist berühmt für seine Batikstoffe.

Der Kraton: Sitz und Wohnsitz des Sultans und seiner Familie. Im Kraton finden regelmäßig Tanzaufführungen sowie Aufführungen von Gamelan-Musik und Wayang-Spiel statt.

Affandi-Museum: Museum für zeitgenössische Kunst im Wohnhaus und Atelier des 1990 verstorbenen Künstlers Affandi, eines der renommiertesten Maler Indonesiens, am Ufer des Gajah Wong.

Neu ist diese Kunstform in Indonesien nicht, die meisten der Streetartveteranen haben als Teenager angefangen und gehören der Szene seit mehr als 10 Jahren an. Begonnen hat sie hier, in Yogjakarta. Davon, dass sie die Pioniere der Streetart in Südostasien seien, sind YORC überzeugt. Streetartkünstler aus der ganzen Welt kommen nach Yogja, man befruchtet sich gegenseitig.

Wie kaum eine andere Stadt des Archipels hat Yogja den Spagat zwischen Tradition und Moderne, im Leben wie in der Kunst, geschafft. Modernes Universitätsleben vibriert neben den Traditionen des Sultanspalastes, dem Kraton, der im Wechselspiel zwischen Hinduismus, Buddhismus und Islam seine ganz eigene Kultur hervorgebracht hat. Im Zentrum von Bildung, Kunst und Kultur ist über Jahrhunderte eine reiche Kunstszene gewachsen, die Tanz, Musik, Wayang-Schattenspiel, Batik und Malerei umfasst.

Die Stadt ist ein großes Atelier

Die Offenheit gegenüber Neuem zeigt sich auch darin, dass Streetart sowohl bei den meisten Bewohnern der Stadt als auch bei den Behörden weitgehend anerkannt und als Kunst wahrgenommen wird. Viele sind stolz auf „ihre“ Straßenkünstler, und eine mobile Suppenküche vor einem bunten mural macht sich allemal besser als vor einer grauen Wand.

PLUS03, der in Yogjakarta Kunst studiert hat und dort nun selbst Kunst unterrichtet, hat 2003 mit dem Sprayen von characters begonnen, weil er fand, dass die Stadt schmutzig und trist aussah. Inzwischen hat seine Straßenkunst aber eine Botschaft: „Kunst ist immer so schwer und abschreckend“, sagt er und will genau das ändern „Jeder kann Kunst machen, jeder kann es lernen, und unsere Stadt ist wie ein großes Atelier.“

Die Leute sollen sich freuen, wenn sie am Morgen zur Arbeit gehen und wieder ein neues Bild an einer schäbigen grauen Wand vorfinden. Das Bilderverbot im Islam, das einer muslimischen Tradition folgt, die die Abbildung von lebenden Wesen ablehnt, schert die jungen Muslime hier wenig. Einzuhalten wäre es im Epizentrum des hinduistischen Ramayana-Epos ohnehin nicht, denn der Epos lebt von seinen filigranen Figuren um Rama und Shinta. Vielmehr bedienen sich viele Streetartkünstler dieser Figuren wandfüllend, um auf sozia­le Missstände zu zeigen.

Sie geben der Kunst wieder Raum und dem öffentlichen Raum die Kunst zurück, ohne auf Preisschilder zu schielen. Sie wollen Kunst vom Volk fürs Volk. Ihre Galerien und Ateliers sind die Straßen ihrer Stadt. Vielleicht braucht Kunst eben doch einen leeren Bauch. Denn satt sind die Streetartkünstler von Yogja noch lange nicht, und ans Aufhören denkt auch keiner. „Niemals!“, sagt MUCK, als hätte man ihn gefragt, ob er sich vorstellen könne, irgendwann mit dem Atmen aufzuhören.

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