■ Straßmanns kleine Warenkunde: Der Raffaelo
Plötzlich wacht man auf, irgendetwas ist anders als sonst. Da ist ein Impuls. Es ist der unbedingte Impuls, heute die Worte „falsche Pracht“ in einem Text unterzubringen. Gehn wir also zu Tengelmann. Kaufen wir Impulsware. Impulsware liegt an der Kasse, niemand will sie, niemand braucht sie, jeder nimmt sie mit. Wer Kinder dabei hat, folgt dem Impuls „Überraschungsei“. Allein greift man zu Raffaelo Kokos Konfekt von Ferrero.
„Hallo Schatz, hier etwas Impulsware für dich!“ Schatz' Reaktion wünsch ich Ihnen zum Frühstück an den Hals. Und doch steht da: „Konfekt“. Nie nähert man sich Damen falsch, so man sich mit Konfekt nähert. Was ist falsch?
Die Firma hat getan, was sie konnte. Rotgold-Druck. Goldweiße Zierborde im Papierdeckchen-Look. „Raffaelo“ wie von Michelangelo geschrieben. Doch dann das: HIER AUFREISSEN. „Hallo Schatz, hier aufreißen!“ Schatz hat Recht.
Wir reißen an der Sollbruchstelle die Polyurethanverpackung auf. Da hat man die unverbindliche Preisempfehlung DM 1.- in der Hand. Wir entnehmen ein Raffaelo Kokos Konfekt von vieren. Es liegt gebettet im vielfach gefältelten Papiertöpfchen. Und stinkt. Nach natürlichen Aromen, Emulgator Lecithin, Vanillin und Backtriebmittel Natriumbicarbonat.
Tot und bleich liegt es vor uns, das Tierchen. Mit Kokosraspeln gefedert. Es wirkt kalorienarm. Ein entfernter polnischer Verwandter der fetten Bremer Konditorpraline. Der Biß ist nicht unraffiniert, den Zähnen wird Waffelwiderstand entgegengesetzt. Innen stößt man auf eine klebrige Masse, die ich als Ochseneiter beschreiben würde. Mit Glück findet man eine ganze Mandel. Das Glück hat man immer.
Doch was soll ich sagen, nach dem ersten Genuß passiert Eigenartiges: Man würgt ein zweites Raffaelo runter, ein drittes und das vierte wie im Fieber. Man kaut und schlingt, bis einem komisch wird. Als hätte man genau das gewollt und gesucht. Der Bauch ist voll, die Seele leer: So ist das mit der falschen Pracht.
Burkhard Straßmann
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