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■ Straßmanns kleine WarenkundeEssige

Kennt jemand das Seltenste von der Welt? Ich ja: das Seltenste von der Welt sind weiße Trüffeln, nicht mal mit angereichertem Uran zu bezahlen.

Wir mieten uns also ein Trüffelschwein und ziehen durch die Bergwelt bei Modena. Modena ist erstens in Italien und zweitens dafür bekannt, daß keine einzige Kaffeemaschine funktioniert, Tonbandgeräte höchstens heillos rauschen und verstauchte Kinderknöchel unversorgt bleiben. Plötzlich schlägt das Trüffelschwein an, ein quiekendes Geräusch, fängt an zu wühlen, ringelt erregt sein Schwänzchen und zieht ein Objekt aus dem Erdreich. Eh es runterschlucken kann, haben wir's ihm entrissen und halten eine kleine Flasche in der Hand. Wir wischen den Modder vom Etikett und erstarren: Aceto Balsamico DOC di Giuseppe Giusti, riserva 80 anni. Weiße Trüffeln!

Ich weiß, meine Leser sind miterstarrt. Gehören sie doch nach allen Mediaanalysen zu den Bestsituierten (über 100.000 p.a.). Niemand kann ihnen essigmäßig was vormachen, es gibt entweder Balsamico oder Essig. Leute, die Balsamico nicht kennen, sagen zu Essig „Putzessig“. Putzessig brauchen Umweltfreunde fürs Klo und die Kacheln, für Kaffeemaschinen und Tonköpfe, hinterher stinkt alles so, daß man ausziehen möchte. Beim Ausziehen verstaucht man sich den Knöchel, schon eilt ein Mütterchen mit einem Essigumschlag herbei.

In einem feuchten Keller in Modena sitzt ein alter Mann, singt Opernmelodien, reibt sich einen verstauchten Knöchel und bewacht den Balsamico. 189 Mark der Zehntelliter vom Vierzigjährigen: Wer würde sich sowas auf die Beine kippen?! Alle paar Jahre steht der alte Mann auf und füllt den Balsamico um: aus dem Faß von sizilianischer Eiche ins Faß aus slowenischer Buche, Jahre später in ein Faß aus ägyptischem Maulbeerbaumholz. Fällt ein Tröpfchen daneben, putzt er damit heimlich einen Tonkopf. Sehr gewagt! Sehr dekadent! Sehr geschmackvoll!

Geschmack aber gibt's nicht umsonst. Werfen wir einen Blick auf den mit Balsamico zugerichteten Gurkensalat. „Wie ausg'schissen,“ urteilt mein niederbayerischer Freund. Aber Essig nehmen? Nie! Nicht einmal den Begriff führen wir im Mund, aber seinen Plural: „Essige“ sagen zeugt von Differnzierungsvermögen und Kultur.

Im Übrigen weise ich darauf hin, daß „Essige“ ein berückend schönes Wort mit herbem Nachgeschmack ist. Im Alltagsgebrauch beinahe so selten wie weiße Trüffel. Hiermit erkläre ich zum Wort der Woche: Essige.

BuS

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