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■ Straßmanns kleine WarenkundeDie Griechen-serviette

Die Griechenserviette mißt 39,3 mal 39,1 Zentimeter. Sie besteht aus mit Chlor gebleichtem, zweilagigem Tissue. Die beiden Lagen sind mittels eines 2,6 Zentimeter breiten, umlaufenden Prägedruckstreifens verbunden. Das Tissue hat weder die Geschmeidigkeit noch die Aufnahmefähigkeit eines marktüblichen Papiertaschentuchs, es wirkt insgesamt weniger luxuriös, ja ein bißchen spartanisch. Faltet man die griechische Serviette dreimal, erhält man ein Format von ca. 1/3 DIN A 4. Hat man entsprechend der Originalfaltung gefaltet, blickt einen nun in einem ins Türkise stechenden Himmelsblau DAS WELTBILD an.

Ich will nicht jammern. Aber wenn man einen Freund hat, den abends regelmäßig ein unbändiger Hunger nach gewaltigen, aber billigen Fleischportionen aus der Garküche eines Jugoslawen erfaßt, dann träumt man schon einmal vom Endsieg des Veganismus. Stattdessen landet man regelmäßig beim Griechen in der Duckwitzstraße. Ein zu vernachlässigender Grieche, den nichts auszeichnet außer seiner räumlichen Nähe zur Obdachlosenunterkunft. Ein Abergrieche. Ein Abgrieche. Ein Grieche, dem man alles zutraut, nur eins nicht: DAS WELTBILD.

Übrigens ist der Seehai gut und reichlich. Die Fleischportionen sind reichlich. Wo man hinschaut, klopfen sich vollgestopfte Girosesser befriedigt auf den Bauch und wischen die Fettlippen mit Griechenservietten ab. Nur einer ist erstarrt: ich. Kurz vor meiner Fettlippe stand: DAS WELTBILD.

Weltbilder sind out, fettfreie Lippen in. Doch welch ein WELTBILD! Mäander umrahmen es sorgfältig. Im Oberteil das inselreiche Helllas, vulgo: die Welt. In der Mitte: DAS WELTBILD. Und dann, daherkommend wie ein Spruch des Touristikministers über griechische Gastfreundschaft: Perikles.

Perikles: Mit sichtbaren Zeichen üben wir wahrlich keine unbezeugte Macht, den Heutigen und den Künftigen zur Bewunderung, und brauchen keinen Homeros mehr als Sänger unseres Lobes noch wer sonst mit schönen Worten für den Augenblick entzückt – in der Wirklichkeit hält dann aber der Schein nicht der Wahrheit stand.

Es gibt kluge Leute, die sagen, man solle Griechenservietten nicht so ernst nehmen. Zu spät für zwei, die ihren Dissens zur Frage „Fleisch oder Salat“ auf der Ebene der doppelten Verneinung bei Perikles fortsetzten. Wir gingen schließlich als Geschiedene auseinander, zwischen uns auf immer DAS WELTBILD. Ich winkte noch lange mit der Griechenserviette. BuS

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