Straßennamen: "Ehrender Charakter"
Man sollte Straßennamen durchaus kritisch prüfen, sagt Historiker Rainer Pöppinghege.
taz: Herr Pöppinghege, immer wieder gibt es in Deutschland Konflikte um personenbezogene Straßennamen. Warum?
Rainer Pöppinghege: Straßennamen symbolisieren einen Grundkonsens der Erinnerungskultur und haben einen ehrenden Charakter. Täglich treten sie in unser Bewusstsein, um uns an etwas zu erinnern. Da stellt sich die Frage: Wer ist es eigentlich wert, sich an ihn zu erinnern?
Wurden Straßen schon immer nach Personen benannt?
Pöppinghege lehrt Neueste Geschichte in Paderborn und schrieb "Wege des Erinnerns - was Straßennamen über das deutsche Geschichtsbewusstsein aussagen".
Nein, das ist ein Phänomen der Moderne. Im Mittelalter orientierten sich Straßennamen noch an der Topografie, wie das bei "Talstraße" oder "Kirchplatz" deutlich wird. Erst im frühen 19. Jahrhundert wurde die Straßenbenennung zum Verwaltungsakt und politisch instrumentalisiert.
Was ist denn der Deutschen liebster Straßenname?
Das ist Schiller, gefolgt von Goethe. Das deutsche Bildungsbürgertum hatte da sehr stark seine Finger im Spiel.
Die deutsche Geschichte des letzten Jahrhunderts ist durch einige Systemwechsel geprägt. Wie stark wirkt sich das auf Straßennamen aus?
Neben kommunalen Gebietsreformen waren Systemwechsel oft der Grund für Umbenennungen. Heute haben wir einen vielschichtigen Fundus an Straßennamen. Die Umbenennungen repräsentieren nicht unbedingt die Geschichte, wohl aber unsere Geschichtsbilder. Staaten ohne Systemwechsel, etwa Großbritannien, haben dagegen ein ungebrochenes Straßennamenbild.
Resultiert aus den vielen Umbenennungen eine Entpolitisierung der Straßennamen?
Bei Neubenennungen ist das sicher der Fall. Bei Umbenennungen und den wenigen überregional präsenten Persönlichkeiten sieht das anders aus: Wenn aus der Kochstraße eine Rudi-Dutschke-Straße wird, ist das ganz sicher ein Politikum.
Warum halten sich die Namen mit kolonialem Hintergrund länger als die Namen nationalsozialistischer Herkunft?
Dahinter stecken unterschiedliche Motivationen. Ein Argument ist sicherlich, dass auch andere westeuropäische Staaten Kolonialismus betrieben haben. Außerdem wird das negative deutsche Erbe in dem Fall auf den Nationalsozialismus reduziert: Kolonialismus war zwar nationalistisch, aber eben nicht nationalsozialistisch.
Ist das gerechtfertigt?
Man muss sicher nicht jeden Kolonialbeamten vom Straßenschild nehmen. Aber man sollte die Namen durchaus mal auf den Prüfstand stellen, auch wenn das bei Verwaltung und Anwohnern relativ unbeliebt ist. Es muss einfach gefragt werden: Verdient es jemand, tagtäglich auf Briefköpfen aufzutauchen und ehrenvoll bedacht zu werden, dessen Vergangenheit einer eher kritischen Auseinandersetzung bedarf?
Können Informationstafeln eine Umbenennung ersetzen?
Nein, das wäre nur ein halber Schritt. Eine Umbenennung bedeutet, sich bewusst zu distanzieren. Eine Informationstafel heißt nur, zu relativieren.
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