Strafverfahren wegen Verunglimpfung: Wulff will keinen Prozess mehr
War es Satire oder eine Straftat? Ein Facebook-User hatte Bettina Wulff in die Nähe der "Blitzmädel" aus der NS-Zeit gestellt. Ihr Mann hat die Entschuldigung akzeptiert.
HAMBURG taz/dpa | Bundespräsident Christian Wulff hat einen Tag vor Verhandlungsbeginn einen Prozess wegen Verunglimpfung platzen lassen. Der 45-jährige Jörg Domsgen sollte vor der Dresdner Staatsschutz-Kammer angeklagt werden, weil sich Wulff durch einen Facebook-Kommentar des Zittauers beleidigt fühlte. Außerdem wurde ihm die Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Kennzeichen von verfassungsfeindlichen Organisationen verwendet zu haben.
Die Verunglimpfung des Bundespräsidenten ist ein eigener Straftatbestand, sie kann mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet werden. Verfolgt werden mögliche Verstöße nur, wenn der Bundespräsident eine Staatsanwaltschaft dazu ermächtigt. Das hatte Wulff getan - diesen quasi Ermittlungsauftrag am Dienstag aber zurückgezogen.
Seit Ende 2010 kursiert im Internet ein Foto, auf dem Christian und Bettina Wulff winkend vor dem Schloss Bellevue zu sehen sind. Bettina Wulff streckt auf dem Bild ihren rechten Arm heraus - wie bei einem Hitlergruß. Domsgen schrieb dazu auf Facebook: "fehlt eigentlich nur noch das Schiffchen auf dem Kopf der Dame und schon haben wir fast ein Blitzmädel im Afrikaeinsatz - hübsch - wenn dieser Herr daneben nicht wäre". Der Text hat einen klaren Bezug zur NS-Zeit: Als Blitzmädels wurden im Zweiten Weltkrieg Wehrmachtshelferinnen bezeichnet. Für Domsgen war das eine Satire.
Jörg Domsgen hatte im Januar 2011 einen Entschuldigungsbrief an den Bundespräsidenten geschickt. "Von sich aus", wie sein Verteidiger Torsten Mengel betont. Darüber hinaus schrieb auch Mengel an das Staatsoberhaupt, schilderte seine Sicht der Dinge und legte ihm nahe, die Verfolgungsermächtigung zurückzunehmen.
Das Bundespräsidialamt bestätigt die Existenz dieser Schreiben. Der Bundespräsident habe die Entschuldigung angenommen und dies dem Angeklagten und dem Landgericht mit Schreiben vom 6. Januar 2012 mitgeteilt, heißt es dort. Das Amt erklärte am Dienstag, dass man dort nach Analyse der Anklageschrift, der Entschuldigung des Angeklagten und einer Stellungnahme des Pflichtverteidigers zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der vermutete rechtsextreme Hintergrund nicht erhärtet werden konnte.
Ob der Vorwurf der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen weiter verfolgt wird, das werde außerhalb der Hauptverhandlung geklärt, sagte ein Gerichtssprecher. Die Staatsanwaltschaft wirft Jörg Domsgen vor, das Bild von Christian und Bettina Wulff selbst manipuliert und den gestreckten Arm in das Foto hineinretuschiert zu haben.
Für Mengel ist der Vorwurf "noch absurder" als die Präsidenten-Verunglimpfung. Er glaubt, diese Anschuldigung sei auf schlechte Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft zurückzuführen. Schließlich gebe es das Bild vielfach an vielen Orten im Netz.
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