Stopmotionfilm von Adam Elliot: Soziopath mit Hang zu Schokolade

Zwei Außenseiter auf zwei Kontinenten führen eine enge Brieffreundschaft. Adam Elliot hat mit "Mary & Max" einen wunderbaren Animationsfilm geschaffen.

Der furzende Max und die nerdige Mary verstehen sich prächtig. Bild: dpa

Adam Elliot versteht sich auf das Erzählen großer Lebensläufe. Nur dass diejenigen, deren Leben er verdichtet in Fragmenten erzählt, für gewöhnlich kaum der Rede wert erachtet werden. Sein Harvie Krumpet etwa leidet am Tourette-Syndrom, trägt eine Metallplatte im Kopf, verliert einen Hoden an den Krebs, ist auch im hohen Alter fröhlicher Nudist, wenngleich im Allgemeinen von nicht allzu prächtiger Statur. Mit absoluter Ausschließlichkeit behandeln Elliots bisherige Arbeiten, allesamt Claymation-Kurzfilme, Freaks: kommunikativ herausgefordert, sozial nicht vorweisbar, Außenseiter mit einem regelrechten Strauß an Idiosynkrasien, Eigenheiten und Unzulänglichkeiten.

Für "Harvie Krumpet" erhielt der Australier 2004 den Oscar in der Kategorie "bester Animationskurzfilm". Eine entscheidende Weiche auf dem Weg zum ersten Langfilm "Mary & Max", der vieles aus dem Kurzfilm fortführt und zur Meisterschaft verfeinert: So ist Max, ein übergewichtiger, oft und vernehmlich furzender, von Angstattacken heimgesuchter, depressiver und schließlich mit Asperger diagnostizierter Soziopath mit Hang zu Schokolade im New York der 1970er Jahre, eine logische Weiterentwicklung der Harvie-Figur. Und Mary, ein kleines Mädchen auf der anderen Seite des Globus in einer australischen Kleinstadt, ist ein dazu passender weiblicher Nerd. Sie trinkt gesüßte Kondensmilch, trägt Brille, wächst bei einer Alkoholikerin auf und das Muttermal auf ihrer Stirn ist, wie der ständig präsente Erzähler aus dem Off unterstreicht, hundekot-farben - beste Voraussetzungen für Hohn und Spott auf dem Schulweg.

Der Zufall schweißt beide zusammen: eine herausgerissene Seite aus dem New Yorker Telefonbuch, das sich nach Australien verirrt hat, ein in krakeliger Schrift verfasster Kinderbrief an die so erbeutete Adresse und schließlich eine vom Leben erschöpfte, aber ausführliche Antwort aus New York von einem Menschen, der inmitten von Menschenmassen lebt und dennoch erst von einem Mädchen aus der globalen Peripherie persönlich angerührt wird. Dass beide eine Vorliebe für eine obskure TV-Serie hegen und den Sonderbarkeiten des Lebens auf je eigene Weise sehr ratlos gegenüberstehen, bildet den Kitt für eine Jahrzehnte dauernde Brieffreundschaft über Kontinente hinweg.

Elliot erzählt die so miteinander verquickten Geschichten zweier beschädigter Leben im Grunde wie ein optisch erweitertes Hörbuch. Auch mit geschlossenen Augen lässt sich der Geschichte dank der Ausführungen im Voice-Over folgen, doch brächte man sich so um den enormen optischen Ideenreichtum, mit dem Elliot seine hüben braune, drüben graue Welt entfaltet, vollkleckst und liebevoll ins bittersüß Skurrile verrückt.

Er ist ein Meister der handgemachten Animation insofern, da er ihre schwerste Kunst beherrscht: den Film auf eine Weise wirken zu lassen, dass er als Mittler zur erzählten Welt funktioniert und nicht nur die Kunst der Animateure als solche ausstellt. Bald sieht man nicht mehr das Handgemachte, man sieht den Film an sich.

Im Kino hat diese Kunst zuletzt mit Filmen wie "Coraline" und "Der fantastische Mr. Fox" eine angenehme Renaissance erfahren und sich aus der langjährigen Nische des Studentenabschlussfilms ein gutes Stück befreit. Mit "Mary & Max" schüttelt sie nun den Ruch von Kinderfilm lässig ab. Wenn Elliot seinen Max nach einer allzu naiven Frage in Marys Brief in der geschlossenen Anstalt landen lässt, dann ist das zwar überdreht und auf böse Weise albern, schlägt aber nie um in die Parodie einer Neurosenschau. Eigen bleibt dabei ein Humor, der auch über die schwersten Krisen seiner zahlreichen Figuren lachen kann, ohne diese auf eine Weise preiszugeben, die an Verhöhnung grenzt. Es ist ein leicht nervöses, melancholisches, vielleicht auch resignatives Lachen, das die geschilderten Zustände nur zu gut kennt.

"Clayography" nennt Elliot sein Verfahren: die Verknüpfung von Clay, Knetmasse, und Biografie. Seinem eigenem Bekunden nach basieren alle seine Filme auf Beobachtungen aus seinem Umfeld. Daher rührt wohl auch seine enorme Liebe zu den Schrullen und Abgründen seiner Figuren, ohne je auf den verlogenen Zynismus etwa eines "Forrest Gump" zu verfallen. Dass es ihm gelingt, seine Figuren nicht nur im plastischen Sinne zum Leben zu erwecken, sondern sie darüber hinaus mit biografischer Tiefe und charakterlicher Komplexität zu versehen, ist die Grundbedingung für diesen wunderbar lakonischen Film und Adam Elliots Verdienst für den Stopmotionfilm.

"Mary & Max - oder: Schrumpfen Schafe, wenn es regnet?". Regie: Adam Elliot. Animationsfilm, Australien 2009, 92 Min.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.