: Stolpe: „Ein ganz großer Sieg der Stasi“
■ Ein Stasi-Abhörsystem in Kirchenräumen soll nun den „unwissentlichen“ IM Sekretär erklären/ Erste Rücktrittsforderung aus der SPD/ MfS-Offiziere wollen angeblich den Ministerpräsidenten entlasten
Berlin (dpa/taz) — Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe sieht sich durch ein nach seinen Angaben neuentdecktes Abhörsystem der Stasi in kirchlichen Dienststellen in der Berliner Augelstraße in seiner Darlegung bestätigt, unwissentlich über lange Jahre als Inoffizieller Mitarbeiter „Sekretär“ geführt und beispielsweise auch durch „Wanzen“ „abgeschöpft“ worden zu sein. Dies sagte Stolpe dem ZDF am Sonntag abend.
Die Quelle „IM Sekretär“ müsse „wahrscheinlich wie eine Schublade“ betrachtet werden, in die auf unterschiedliche Art und Weise gesammelte Materialien einflossen, sagte Stolpe. „Wenn die Offiziere ihre Meldungen nach oben gemacht haben, dann mußte eine einigermaßen seriös wirkende Quelle angegeben werden. Dann durften die gar nicht berichten, daß sie Abhördienste eingeschaltet haben.“ Dem gegenüber stehen aber die Ausführungen der Gauck-Behörde, wonach die Protokolle von Abhörmaßnahmen der Staatssicherheit in den Stasi-Unterlagen auch als solche eindeutig zu erkennen sind.
Stolpe bezeichnete es erneut als großen Fehler, die Wirklichkeit ausschließlich nach den Akten der Staatssicherheit zu bemessen. Dabei würden allenfalls immer nur Teile der Wirklichkeit gefunden. In der „Wahrheitsfrage“ rief er zur Gemeinsamkeit auf. Man käme nur weiter, wenn alle — er selbst ebenso wie der Leiter der Gauck-Behörde, Joachim Gauck, und andere — gemeinsam dazu beitrügen. Die Stasi habe mit ihren Akten „einen ganz großen Sieg errungen“. Es sei „Stimmung gemacht“ worden, fast eine „Verfolgungsjagd“. Dies sei eine „ganz bedrohliche Situation“, mit der man die „ganz schwierige Aufgabe der Vergangenheitsbewältigung ganz sicher nicht in den Griff“ bekomme. Dies sei eine „nationale Aufgabe“ für Ost und West, die Sachlichkeit und Offenheit erfordere.
Entlastung wird Stolpe vermutlich durch Aussagen von fünf leitenden Offizieren des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erfahren, die am 5. Mai mit dem Chef der Kirchenabteilung XX/4, Oberst Jochen Wiegand, an der Spitze vor den Untersuchungsausschuß des Potsdamer Landtages geladen sind. Strategie der ehemaligen MfS-Offiziere sei es, eine „Differenzierung“ in der öffentlichen Diuskussion um das MfS und die Gauck-Behörde zu erreichen, berichtete der ZDF-Länderspiegel unter Berufung auf hochrangige Stasi- Quellen. Ein Verbleiben Stolpes im Amt sei der Hebel, um auch eine Neubewertung der Fälle Ibrahim Böhme, Wolfgang Schnur und Lothar de Maiziere zu erreichen, hieß es dazu.
In der Diskussion um die Bewertung der Stasi-Kontakte von Stolpe kam erstmals auch aus den Reihen der Sozialdemokraten deutliche Kritik an Stolpe. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (SPD) forderte, Stolpe sollte bis zur Klärung der Vorwürfe sein Amt vorläufig niederlegen.
Auch die Witwe des DDR-Regimekritikers Robert Havemann, Katja Havemann, forderte Stolpes Rücktritt und nannte ihn nach Einsicht in ihre Stasi-Akte eine „dubiose Figur mit dubiosen Machenschaften“.
Zweifel am bisherigen Umgang mit Stasi-belasteten Angehörigen des öffentlichen Dienstes sah der aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung stammende Vize-Chef des Staatlichen Komitees zur Stasi-Auflösung, Ralf Merkel. Wenn die „Affaire Stolpe“ für Stolpe ohne Konsequenzen bleibe, könne die Gauck-Behörde „dicht machen“. Dann müßten auch wegen Stasi-Belastung entlassene Küchenhelferinnen wieder eingestellt werden.
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