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Archiv-Artikel

Stochern im Dunkeln

Prominente können ihren Darm jetzt auf eine neue Weise spiegeln lassen

Ein erfreuliches Beispiel dafürdass Quantentheorie wirklich für den Arsch sein kann

Darmspiegelungen sind mittlerweile in aller Munde respektive Hintern. Dank Fernsehrummel, Infotainment und Medienpreisen für Susan Stahnke oder Günter Jauch sind auch die letzten Meter des Verdauungsorgans aus ihrer diskreten Intimität hinaus ins öffentliche Leben getreten. Die exklusiv vermarktete Koloskopie der jetzt inwändig bekannten Preisträgerin brachte den berühmtesten Darmausgang hervor. Besser gesagt: Eingang, denn ein einfühlsamer Internist schob Frau Stahnke, nach intravenösem Einspritzen eines Vergesslichkeitsserums, ein zentimeterdickes, hoch biegsames, mit Vaseline beschmiertes Rohr in den Anus. Ausgestattet mit Lichtquelle, Optik und Schere ist das Koloskop bisher das Mittel der Wahl, um nach Polypen im Darm zu suchen und, falls vorhanden, diese sofort zu entfernen, da sie vielleicht einen Tumor auslösen könnten.

Schon allein der Gedanke an eine Koloskopie löst bei manchen einen heftigen Phantomschmerz aus. Diese Qual ist bald vorbei, denn jetzt wurde in den USA eine Methode zur „virtuellen Darmspiegelung“ mittels Magnetresonanztomografie zugelassen. Statt invasiver Methoden begeben sich die willigen Patienten in einen Kernresonanztomografen und überlassen Magnetfeldern das Stochern im Dunkeln.

Diese Meldung ist auch deshalb erfreulich, da sie ein exzellentes Beispiel dafür ist, dass Quantentheorie tatsächlich für den Arsch sein kann. Im allerpositivsten Sinne natürlich. Denn trotz Muskelmasse, weicher Rundungen oder Fettpölsterchen bestehen wir im Wesentlichen aus Wasser und damit aus Atomkernen des Wasserstoffs, unscharf umwölkt von Elektronen. So regieren in unserem tiefsten Inneren die Gesetze der Quantenphysik. Gemäß theoretischer Vorhersagen besitzt jeder Atomkern einen Spin, der für dessen magnetische Eigenschaften verantwortlich ist. Diese magnetischen Winzlinge reagieren äußerst empfindlich auf Magnetfelder, indem sie sich nach diesen richten – vergleichbar mit einer Kompassnadel, die von einem Magneten gezielt ausgerichtet wird. Ein starkes, von außen auferlegtes Magnetfeld, etwa 50.000 Mal stärker als das der Erde, erzwingt eine Orientierung der Kernspins. Gleichzeitig eingestrahlte Radiowellen im UKW-Bereich stören die Spins und lenken sie ein wenig von dieser Position ab. Werden die Wellen abgeschaltet, taumeln sie wieder in jene Richtung zurück, die von dem Magneten vorgegeben wird. Dabei senden die Spins Signale aus, wiederum in Form von Radiowellen, die durch hoch empfindliche Antennen aufgefangen werden. Im Falle einer Resonanz stimmen eingestrahlte und aufgefangene Signale überein. Wie aber die Minimagnetchen zurückkreiseln, hängt stark von deren Umgebung ab. So lernt man beim Durchsuchen der Spinresonanzen die Umgebung der Atomkerne besser kennen. Damit wurden ursprünglich feine Methoden entwickelt, um etwa unsichtbare und winzige Fehler in allen möglichen Materialien zerstörungsfrei sichtbar zu machen.

Natürlich erlaubt diese sehr empfindliche Methode auch (pathologische) Unterschiede in biologischer Materie aufzulösen, etwa in unterschiedlich dichtem Gewebe. Ein Computer berechnet aus den aufgefangenen Signalen mit Hilfe mathematischer Verfahren eine präzise Darstellung eines Organs. Schnell wurde daraus eine medizinische Diagnostik entwickelt, die es nicht nur mit bestehenden Methoden aufnehmen kann, sondern diese wundersam ergänzt. Dies klappt natürlich auch bei besagten Darmwänden. Zusammen mit verbesserten Bildanalyseverfahren wird jetzt sogar der Darm vollständig dargestellt, und selbst kleinste Gewebeveränderungen werden mit präziser Sicherheit wahrgenommen. Nebenwirkungen gibt es dabei keine. Ungewollte und gefährliche Verletzungen der Darmwände, wie es bei herkömmlichen Spiegelungen vorkommen kann, sind ausgeschlossen – und weh tut’s erst recht nicht. Schön, dass sich so nicht jeder Patient ein Rohr hineinschieben lassen muss, um seine versteckten Polypen zu erkennen. Stattdessen wird der Proband als Ganzes in die Tomografenröhre eingeführt. Am Bekenntnis des hypochondrierenden Harald Schmidt: „Alle zwei Jahre sage ich Ja zur Darmspiegelung. Ich gönn mir ja sonst nichts“, ändert sich im Übrigen nichts. Es wird lediglich an geeigneter Stelle das Adjektiv „virtuell“ eingeschoben.

THOMAS VILGIS