piwik no script img

Stimme meiner Generation Wie viel Osten ist in mir?

Während seine Berliner Freunde bei einem Techno-Festival der Realität entfliehen, fährt Aron nach Bitterfeld. Um seine Ost-Identität auszubilden.

Aron hat sich ein altes DDR-Moped besorgt, um seine Ost-Heimat zu erforschen lasse_mx (Instagram)

Von Aron Boks

taz FUTURZWEI, 07.07.22 | Die Festivalsaison beginnt, und während meine Freunde ein Techno-Festival besuchen, um für ein paar Tage der Realität zu entfliehen, mache ich das Gegenteil und fahre nach Bitterfeld. Genauer gesagt zum Festival OSTEN. Siebzehn Tage lang Kultur – und Diskussionsveranstaltungen rund um das namensgebende Thema, mit einem ehemaligen DDR-Gebäude als Festivalzentrum. Für meine westdeutschen Berliner Freunde kein Ersatz für Raves und Ecstasy – aber für mich ein Muss. Schließlich bin ich gerade dabei, meine Ost-Identität zu entdecken. Ich bin zwar erst 1997 in Sachsen-Anhalt geboren, aber gerade deswegen voller Fragen und Tatendrang.

STIMME MEINER GENERATION​

Aron Boks und Ruth Fuentes schreiben die neue taz FUTURZWEI-Kolumne „Stimme meiner Generation“.

Boks, 26, wird gefördert von der taz Panter Stiftung.

Er wurde 1997 in Wernigerode geboren und lebt als Slam Poet und Schriftsteller in Berlin.

Fuentes, 28, ist taz Panter-Volontärin in der taz-Redaktion.

Sie wurde 1995 in Kaiserslautern geboren und ist seit Oktober 2021 taz Panter Volontärin.

Ost-Probleme am Sonntag

Einen Tag lang fuhr ich zur Vorbereitung mit einem alten DDR-Moped die Stationen meiner Heimat ab und fotografierte aktuelle Probleme wie den sterbenden Wald, AfD-Dörfer, sowie Anti-Grünen-Plakate an Hausfassaden. Als ich danach und kurz vor Festivalstart meine Eltern spontan zum Sonntagsfrühstück besuchte, präsentierte ich ihnen die Bilder, untermalt mit einem ernsten theoretischen Vortrag über die Schäden der Wiedervereinigung und schlug vor, gerade deswegen gemeinsam als Familie zum Festival zu fahren, „um sich den Fragen der Vergangenheit und der Zukunft zu widmen“, und als darauf erst einmal keine Reaktion folgte, versuchte ich es noch einmal in einer irgendwann leicht verzweifelten Geburtstagsclownstimme: „Aaalso – wer kommt mit mir nach Bitterfeld?“

Ich fahre dann also allein zum Festival.

Dort läuft „Bitter Fields“, eine Theateraufführung über den Zusammenhang von Rechtsradikalismus und Klimawandel. Ein Schauspieler, Anfang 50, erzählt über den Besuch einer PEGIDA-Demonstration in seiner Heimatstadt Chemnitz. Rechte heißen in diesem Stück „die Wenigen“, da wir im Publikum ja „die Vielen“ seien.

„Wo kommen diese vielen Wenigen auf einmal her?“, fragt er immer wieder, wechselt in die Rolle eines Wutbürgers und spricht von „Transformationsprozessen“, einer „abgehängten Arbeiterklasse“ und anderen Begriffen, die ich gerade noch am Frühstückstisch meiner Eltern heruntergebetet hatte. Und natürlich stellt sich heraus, dass der Schauspieler auch in Berlin wohnt und natürlich endet das Stück damit, dass gerade die üblichen Theorien der Weggezogenen die Probleme der Provinzler:innen im Osten zu einfach darstellen. Mist.

Stadt, Land, Frust

„Wir Vielen, wir suggerieren immer, dass es große Probleme gibt, haben aber überhaupt keine glaubwürdige Lösung parat“, ruft jetzt eine Dramaturgin auf der Bühne und erzählt dem Publikum von Großstädter:innen, die in kapitalistisch-antiökologischen Hamsterrädern leben, aber gegen den Klimawandel protestieren. „Wir machen ja immer so weiter. Und die, die davon profitieren, sind die Wenigen überall auf der Welt!“, sagt sie.

In der anschließenden Diskussionsrunde folgt erstmal die handelsüblich selbstkritische Reaktion eines jungen Städters: „Der Schlag in die Fresse tat gut.“

Dem gegenüber steht die Reaktion einer mittelalten ostdeutschen Provinzlerin: „Ich bin voll sauer. Ich wollte mal was Motivierendes sehen, dabei habt ihr nur die Dinge gesagt, die ich eh schon weiß.“

Das Gespräch geht hin und her. Die Provinzler:innen brauchen eine halbe Stunde, um den Großstädtern die Provinz zu erklären und wie sie dort schon längst selbst gegen Neonazis und den Klimawandel arbeiten. Die Großstädter, die überlegen, wie viele Photovoltaikanlagen eigentlich in ihrer Nachbarschaft installiert sind, schlucken und einigen sich mit den Provinzler:innen darauf, dass „alles komplexer als gedacht“ sei. Und ich muss mich beeilen, um meinen Zug zurück nach Berlin zu bekommen.

Besorgte Nazi-Eltern

Auf der Fahrt denke ich an meinen Morgenmonolog und wie ruhig mein Bruder mich dabei angesehen hatte.

Sein Blick glich denen der Zuschauer:innen im Publikum, die den gespielt betroffenen Schauspieler ansahen. Ich weiß, dass Du heute wieder nach Neukölln fährst, sagte der Blick.

Mein Bruder ist gerade erwachsen geworden, als mit dem Jahr 2015 und der damit verbundenen Fluchtbewegung plötzlich Eltern von Freunden, die man früher noch friedlich beim Bier am Fußballplatz sah, auf Bürgersprechstunden herumpöbelten, waschechte Fascho-Parolen riefen und die Initiative „Nein zum Heim“ gründeten. Obwohl gar nie in Erwägung gezogen wurde, dort ein Asylbewerberheim zu errichten.

Da muss man was machen, hatte ich gedacht und kurz darauf ein paar Rechten auf Facebook geschrieben, dass ich ihre Meinung „echt voll daneben finde“. Als ich aber gemerkt hatte, wie schnell sie meine Adresse herausfanden und nur deswegen von mir abließen, weil ich mit 18 noch aussah wie 13, war es vorbei mit meinem „Aktivismus.“ Kurz nachdem die AfD dann 2016 zweitstärkste Partei Sachsen-Anhalts wurde, floh ich nach Berlin und kehrte erst wieder zurück, als ich über meine Familie in der DDR recherchieren wollte und dabei begann, den Osten als Teil von mir zu identifizieren.

Wittenberg ist nicht Paris

Und vielleicht ist es eben auch ein Teil einer sich neu entwickelnden Ost-Identität, diese nicht nur als Gelegenheit zu sehen, um öffentlich über die DDR und ihre Folgen erzählen zu dürfen – sondern Aufgaben zu entdecken. Solche, die sich nicht durch Gelegenheitsbesuche lösen lassen, denke ich nachts, als ich in einer Bar in Neukölln in den Rest meines Bieres schaue. Kühne Gedanken. Vermutlich rühren die aus dem Song, den mir mein Bruder geschickt hat, als ich ihm vom Festival und meiner „Betroffenheit“ erzählt habe. Es ist die neue Single der Band Kraftklub:

„Und jetzt postest du begeistert

Das Grünen-Wahlergebnis aus deinem Kiez

Und Nazis raus ruft es sich leichter

Da wo es keine Nazis gibt.“

„Doch Wittenberg ist nicht Paris!“, heißt es in der Hook des gleichnamigen Songs, der schon davor den Finger in die Wunde legt:

„Und ich kann dich verstehen

Tausch dein altes Leben

Gegen Cafés und Designermöbelläden“

Es bringt jetzt aber auch nichts, sich fertig zu machen, denke ich auf dem Nachhauseweg, weil ich das immer denke, wenn ich getrunken habe. Das Festival in Bitterfeld läuft noch ein paar Tage. Es gibt viel zu tun. Und sollte es hart auf hart kommen, auch immer eine ICE-Direktverbindung zurück nach Berlin.

Die Kolumne „Stimme meiner Generation“ wird von der taz Panter Stiftung gefördert.