Steuerstreit zwischen CDU und CSU: Ideenraub unter Schwestern
Im Sommer erklärte die CDU, dass die CSU-Forderung nach niedrigeren Steuern absurd sei. Jetzt will sie zum Verdruss der christsozialen Wahlverlierer aus Bayern selbst damit punkten
BERLIN taz Manchmal ist Politik erstaunlich banal. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die bayerische Schwesterpartei mit ihrer Forderung nach niedrigeren Sätzen bei der Einkommensteuer abblitzen ließ, glaubten viele, sie wolle sich das Thema nur für den eigenen Wahlkampf aufsparen. Einsam saß der damalige CSU-Chef Erwin Huber in Berlin und musste sich für sein aussichtsloses Konzept, das den Titel "Mehr Netto vom Brutto" trug, fast schon auslachen lassen.
Jetzt bereitet die CDU den Bundestagswahlkampf vor - und mit welchem Thema will sie punkten? Richtig, die Einkommensteuer soll sinken. "Unser Ziel ist es, dass die Menschen mehr Netto vom Brutto erhalten", heißt es in einem Papier, das Generalsekretär Ronald Pofalla für den Parteitag in anderthalb Wochen vorbereitet hat. Derselbe Pofalla, der das CSU-Konzept im Juni mit den Worten kommentierte: "Unser Ziel ist es, im Jahr 2011 einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden vorzulegen. Das muss die Basis bleiben."
Das wäre schon dreist, wenn sich seit dem Sommer politisch nichts Grundlegendes verändert hätte. Aber war da nicht etwas mit einer Finanzkrise? Wird der Bundestag nicht in der kommenden Woche ein Haushaltsgesetz beschließen, das eine Neuverschuldung von 18 Milliarden Euro vorsieht statt der ursprünglich geplanten 10,5 Milliarden? Unabhängig davon, ob eine Anpassung der Steuertabelle an die Lohnentwicklung ebenso sinnvoll sein könnte wie ein Abschmelzen des viel beklagten Mittelstandsbauchs - finanzierbarer ist beides seit dem Sommer nicht geworden.
Erstaunlich spät haben sich jetzt CSU-Politiker über Merkels Foulspiel beschwert - je weiter vom aktuellen Machtzentrum entfernt, umso lauter. "Die CDU hat die Schwester CSU im Wahlkampf nicht nur alleingelassen, sondern unsere Pläne sogar noch miesgemacht. Das war ein großer strategischer Fehler", schimpfte Huber, jetzt Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaft in der CSU-Landtagsfraktion. "Wir erwarten in Zukunft mehr Verständnis", sagte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos. Er beklagte sich zudem darüber, dass ihn die Kanzlerin bei der Bewältigung der Finanzkrise zu wenig eingebunden habe.
In freundlichere Worte kleidete der neue CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg seine Kritik an der Schwesterpartei. Dass die CDU das Steuerkonzept nun übernommen habe, sei ein "Anlass zu heller Freude", sagte er. "Das ist für mich kein Fall von Produktpiraterie, sondern von sinnvoller geistiger Befruchtung unter Schwesterparteien."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin