■ Sterbehilfe-Gesetz der Niederlande in Kraft: Schöner leichter Tod
In der Antike hieß Euthanasie noch der schöne leichte Tod ohne äußere Einwirkung. Erst viel später wurde der bewußt herbeigeführte „Gnadentod“ daraus. In der Nazizeit dann der Massenmord: „Tötung unwerten Lebens“ hieß es damals. Und heute: Tod auf Verlangen, oder anders umschrieben: die Sterbehilfe. Wer würde es wagen, einem Schwerleidenden die Hilfe zu versagen? Doch auch die Worte dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß das Töten eines Menschen Mord ist. Obwohl es in den Niederlanden schon lange Praxis in den Kliniken ist, auch offiziell, das Leben von unheilbaren, leidenden Schwerkranken auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin aktiv zu beenden – 1992 wurden 1.300 Fälle registriert –, stellt das jetzt verabschiedete Gesetz eine neue Qualität dar. Wenn der Arzt einen vorgegebenen Katalog von Bedingungen einhält, soll sein todbringendes Handeln straffrei bleiben.
Mit der Legalisierung der Sterbehilfe wird die Verantwortung an den Gesetzgeber delegiert. Die gesetzliche Instanz wird zur Gutachterkommission über Tod und Leben. Sie soll an Hand eines „Euthanasie- Reports“ entscheiden, ob der Arzt straffrei bleibt. Damit ist ein Grundsatz festgeschrieben, daß es eine Entscheidung über lebenswert und lebensunwert geben darf. Die Diskussion wird nicht auf die Niederlande beschränkt bleiben. Auch in der Bundesrepublik sind die Euthanasie-Thesen schon hoffähig geworden. Man muß nur an die Auseinandersetzung um den australischen Bio-Ethiker Peter Singer erinnern. Und es wurde auch schon ein Versuch unternommen, eine einheitliche Regelung für die Europäische Union zu verabschieden, die die Sterbehilfe zuläßt. Noch erweist sich in der Bundesrepublik das aus der Nazizeit resultierende Tabu als Schutzmauer gegen die Euthanasie-Befürworter. Doch wird sie dauerhaft sein? Fleht wirklich einmal ein Schwerleidender um den Tod, wer soll oder kann entscheiden, ob dieser Wille von Dauer ist und nicht nur einer momentanen Stimmung entspringt? Soll dem Wunsch des Leidenden nachgegeben werden?
Den Konflikt zwischen Lebenlassen und Töten auf Verlangen kann kein Gericht lösen. Es darf kein Grundsatz aufgestellt werden, mit dem eine solche Handlung zulässig wird. Wer es tut, muß das Risiko, wegen Mords vor Gericht zu stehen, auf sich nehmen. Der Arzt und Philosoph Karl Jaspers warnte vor Jahren davor: „Eine Rechtfertigung würde das Tor zu den schrecklichsten Möglichkeiten öffnen.“ Wolfgang Löhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen