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Sterbebegleitung gefährdet

■ Pflegedienste warnen vor den Tücken der Pflegeversicherung

Hannover „Einen Menschen beim Sterben zu begleiten und ihn in dieser schwierigen Zeit zu pflegen, heißt auch, einfach nur am Bett zu sitzen, die Hand zu halten und da zu sein“, sagt Heidi Freiling. Für die Leiterin der evangelisch-lutherischen Diakonie-Sozialstation in Celle gehören hauswirtschaftliche Versorgung, Körperpflege und seelische Pflege untrennbar zusammen. Dies sieht sie aber durch das Bundesgesetz zur Pflegeversicherung gefährdet: Denn Sterbebegleitung in Form von „seelischer Pflege“ wird nicht mehr bezahlt. Allein in Niedersachsen müßten die 130 Diakonie-Sozialstationen bereits jetzt überlegen, ob sich Sterbebegleitung für sie überhaupt noch „rentiert“.

„Kommunikation“ sei für gesunde, kranke und pflegebedürftige Menschen in gleicher Weise notwendig, heißt es in dem seit dem 1. April 1995 geltenden Gesetz. Deshalb könnten Gespräche mit Sterbenden und deren Angehörigen keine eigene, besondere Berücksichtigung – sprich Bezahlung – finden. „Wir wollen aber unbedingt den ganzheitlichen Pflegeanspruch behalten, denn der Mensch ist einfach nicht teilbar in Körper und Seele“, meint Angelika Schmidt vom Diakonischen Werk der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. „Wir wehren uns dagegen, dieses Problem auf dem Rücken der Sterbenden auszutragen.“

„Oft möchte ein Sterbender besonders in den letzten Stunden gerade den Pfleger einer Sozialstation bei sich haben, der sich bis dahin um Haushalt und Körperpflege des Patienten gekümmert hat. Und genau das können wir aus Kostengründen einfach kaum mehr leisten“, klagt Heidi Freiling. Diese Situation ließe sich nur dann lösen, wenn die Sterbebegleitung für Sozialstationen nicht nur vorgesehen, sondern auch angerechnet wird.

„Spätestens Ende diesen Jahres werden alle insgesamt rund 1 300 Sozialstationen und ambulanten Pflegedienste in Niedersachsen schwere finanzielle Probleme bekommen, sollten pflegerische Leistungen wie die Sterbebegleitung weiterhin nicht bezahlt werden“, sagt Günter Famulla, stellvertretender Landesgeschäftsführer des paritätischen Wohlfahrtsverbands in Niedersachsen. Lange könnten viele Sozialstationen die fehlenden Mittel für Sterbebegleitung nicht mehr ausgleichen. Notwendig sei eine Gesetzesänderung.

Pflegeleiterin Freiling in Celle malt ein düsteres Bild für die Zukunft: „Vor Jahren flüchteten die Pfleger aus den Krankenhäusern, und jetzt droht uns die Flucht aus dem Pflegedienst, weil die Kollegen völlig berechtigt „nein“ sagen zum Fließband-Pflegedienst.“

Andrea Rübenacker, dpa

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