Steinbrück über Bankenkrise: "Wir sind längst noch nicht durch"
Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hält die deutschen Banken für stabiler als die US-amerikanischen, doch Grund zur Entwarnung gibt es nicht.
taz: Herr Steinbrück, die US-Großbank Lehman Brothers ist zahlungsunfähig, Merrill Lynch angeschlagen. Droht deutschen Banken Ähnliches?
Peer Steinbrück: Ich habe immer gesagt, dass diese Finanzmarktkrise die größte der vergangenen Jahrzehnte ist. Anlass zur Entwarnung gibt es nicht. Wir sind da längst noch nicht durch. Aber: Nach dem, was wir bisher wissen, werden die Auswirkungen der jüngsten Entwicklungen in Deutschland sehr begrenzt sein.
Wir verstehen, dass Sie beruhigende Worte an die Märkte senden wollen. Aber was wissen wir wirklich über Risiken bei deutschen Banken?
Die deutschen Banken sind weit weniger labil als US-Banken. Wir haben allen Anlass anzunehmen, dass sie wesentlich stabiler sind als die angelsächsische Konkurrenz.
Das hat man von der Sächsischen Landesbank oder der Mittelstandsbank IKB auch gesagt.
Ich will nicht ausschließen, dass einzelne Investments deutscher Banken an Wert verlieren könnten. Mir scheint diese Gefahr aber überschaubar zu sein. Jenseits jeder Verharmlosung gehöre ich nicht zu den Kassandra-Rufern, die massive Dominoeffekte sehen. Mein Eindruck ist, dass die hiesigen Banken in den letzten zwölf Monaten getan haben, was nötig ist, nämlich Risiken transparent zu machen und abzuschreiben.
Die Finanzkrise dämpft aber die Wirtschaftsentwicklung in Deutschland. Können Sie Ihr Ziel, für 2011 einen Bundeshaushalt ohne neue Kredite aufzustellen, trotzdem einhalten?
Ich werde es einhalten wollen. Bisher haben wir unsere Ziele lupenrein erreicht. Das ist ein Markenzeichen der großen Koalition. Daran sollten wir strikt festhalten. Der Haushalt, den ich morgen vorstelle, steht unter der Überschrift "Keine Schulden. Alle Chancen."
"Ich würde mich freuen, wenn ich das Ziel des ausgeglichenen Haushaltes als Finanzminister erreichen könnte". Von wem stammt dieses Zitat?
Von mir?
Nein, von Ihrem Vorgänger Hans Eichel. Das war 1999, zwei Jahre bevor er auf die größte Neuverschuldung aller Zeiten zusteuerte.
Die Rahmenbedingungen sind heute günstiger. Im Jahr 2006 mussten wir noch 34 Milliarden Euro neue Kredite aufnehmen, im Haushaltsentwurf für 2009 haben wir nur noch 10,5 Milliarden angesetzt. Die Empirie stützt meine Sicht. Mit einzelnen Kronzeugen, die genau wissen, was alles nicht geht, hat man es in meinem Geschäft immer zu tun.
Also eisern weiter sparen?
Wir haben eine Staatsverschuldung von 1,6 Billionen Euro erreicht. Das ist der Wert eines Mittelklassewagens für jeden Bürger - vom Säugling bis zum Greis. Wir verwenden ein Siebtel des Bundeshaltes für die Zinsen. Das ist zu viel.
Aber das Sparen geht auch auf Kosten der Bildung. Deutschland gibt dafür viel weniger aus als andere OECD-Länder. Das ist ungerecht gegenüber jenen, die Bildung brauchen.
Dieser Bewertung kann ich mich nicht entziehen. Wir sind im internationalen Vergleich nicht gut genug. Und wir müssen das Bildungssystem reformieren und besser ausstatten.
2008 nehmen Sie bis zu 9 Milliarden Euro mehr Steuern ein als geplant. Warum setzen Sie dieses Geld nicht für bessere Bildung ein?
Es stimmt, die Einnahmesituation ist positiv. Aber wie gesagt: Wir machen immer noch viel zu viel neue Schulden. Und: Wir haben schon einiges gemacht, beispielsweise vier Milliarden Euro bereitgestellt, damit Kinder bis zum Alter von drei Jahren ab 2013 einen Rechtsanspruch auf Betreuung erhalten. Wir legen die Hände nicht in den Schoß, obwohl der Bund eigentlich nicht zuständig ist. Gelegentlich geht mir aber durch den Kopf, dass unser ausgeprägter Föderalismus eine bessere Bildungspolitik verhindert.
Also war die Föderalismusreform, die Bildung fast vollständig zur Ländersache machte, ein Fehler?
Ich will den Föderalismus nicht aushebeln. Aber die Bürger debattieren zu Recht, dass ihnen die Verteilung von Zuständigkeiten unwichtig ist, aber eine Verbesserung des Bildungssystems nicht.
Der Bund könnte mehr tun.
Im Schulbereich nicht.
Aber bei den Hochschulen.
Nur in absoluter Übereinstimmung mit den Ländern. Da kann ich auf noch so tolle Ideen kommen. Wenn die Länder Nein sagen, passiert nichts.
Die SPD regiert seit zehn Jahren. Seitdem ist die Lohnquote zurückgegangen und die Mittelschicht geschrumpft. Ist das gerecht?
Es stimmt: Arm und Reich haben sich auseinanderentwickelt. Aber durch Umverteilung allein können Sie das Problem nicht lösen. Die 20 Prozent Steuerzahler mit den höchsten Einkommen finanzieren über 50 Prozent aller Steuereinnahmen. Wenn ich diese Bürger mit hohen Steuern überfordere, entziehen sie sich dem Solidarsystem. Damit ist niemandem geholfen. Der Schlüsselbegriff für ein selbstbestimmtes Leben ist nicht mehr Umverteilung, sondern mehr Bildung.
Wenn die Reallöhne sinken, kann die SPD nicht achselzuckend sagen: Umverteilung nutzt nichts.
Die stagnierenden Reallöhne haben auch den Effekt, dass wir uns wirtschaftlich erholt haben und es 1,6 Millionen neue Jobs gibt. Das ist die andere Seite. Richtig ist aber, dass die Lohnquote zu gering ist. Deshalb habe ich Verständnis dafür, dass die Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen den gerechten Anteil für die Arbeitnehmer einfordern.
"Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, Politik für jene zu machen, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die - und nur um sie - muss sich Politik kümmern." Kennen Sie den Satz?
Ja, der ist von mir. Und damit meine ich nicht nur Manager, Banker und Journalisten, sondern die Mitte der Gesellschaft, die das Sozialprodukt erwirtschaftet. Es wird zu viel über Verteilung geredet und zu wenig über Leute, die etwas leisten, die neugierig und schnell sind und ihren Job gut machen. Und die nicht lamentieren, wenn sie mal 15 Minuten am Tag länger arbeiten müssen.
Aber das unterere Fünftel der Gesellschaft klammern sie aus.
Nein. Aber wenn ich etwas an Bedürftige verteilen will, muss es vorher erwirtschaftet werden. Dieser Mechanismus gerät oft aus dem Blickfeld. 70 Cent von jedem Euro, den der Bund an Steuern einnimmt, gibt er für Soziales aus. Wir haben einen im internationalen Vergleich hervorragenden Sozialstaat, und den können wir uns nur leisten, wenn wir wirtschaftlich weiter in der Champions League spielen. Nur so können wir den Zusammenhalt der Gesellschaft sichern. Ich misstraue denen, die einerseits nur das Hohelied auf den Markt singen, und andererseits denen, die nur sagen: Schieb mal Staatsknete rüber!
Trotzdem: Ist es sozialdemokratisch zu sagen, Politik muss sich nur um Leistungsträger kümmern - und nicht um die, die zu alt oder zu schlecht ausgebildet für Jobs sind?
Das tue ich doch gar nicht. Wir machen Politik für Arbeitslose, Alleinerziehende oder Kinder bildungsferner Schichten. Es gibt Fortschritte, wenn vielleicht auch zu langsam. Aber Gerechtigkeit braucht ein wirtschaftliches Fundament und nicht nur einen Parteitagsbeschluss.
Herr Steinbrück, Sie sind der Einzige der die Koalition mit der Union nach 2009 fortführen will.
Nein, ich wünsche mir eine Zweidrittel-Mehrheit für die SPD …
Aha.
… weil das leider nicht sehr wahrscheinlich ist, spricht viel für eine Koalition.
Steinmeier will ein Ampelbündnis, Sie bevorzugen die große Koalition.
Nein, ich kann mir nach 2009 auch anderes als die große Koalition vorstellen. Aber ausschließen kann ich sie im Lichte konkreter Wahlergebnisse auch nicht.
Glauben Sie, dass die SPD mit der FDP den Mindestlohn verwirklicht?
Wer hätte 2005 denn gedacht, dass wir gegen die Union durchsetzen, dass für vier bis fünf Millionen Arbeitnehmer über das Entsendegesetz ein Mindestlohn gilt? Die SPD muss sich vor der Wahl nicht auf Koalitionen festlegen. Sie werden mich nicht dazu bekommen, mir eine Schelle um Bein zu binden, die ich nicht mehr loswerde.
Sind Sie eigentlich noch gerne Sozialdemokrat?
Ach, diese Frage schon wieder. "Er hat nicht den Stallgeruch der SPD." Müssen denn in der SPD alle gleich riechen?
Wir meinten etwas anderes. Kurt Beck erinnert die Bundes-SPD an ein Wolfsrudel. Sie auch?
Nein. Ich kann das Bild nicht nachvollziehen. Aber ich respektiere, wenn Kurt Beck Demütigungen und schlechte Erfahrungen verarbeiten will.
Beck ist nicht der Erste, der böse Erfahrungen gemacht hat. Die SPD hat drei Vorsitzende in drei Jahren verschlissen.
Ja. Wir gehen wohl nicht sehr pfleglich mit unseren Spitzenleuten um.
Aber neu ist, wie sehr die SPD ihre inneren Kämpfe über Medien austrägt. Die Intrige ist normal geworden.
Nein, die Intrigen werden überbewertet. Es ist aber leider üblich, Informationen über Bande, über die Medien, zu spielen. Das ist sauschädlich.
Und warum hört das nicht auf? An Appellen mangelt es ja nicht.
Ich glaube, dass der Rücktritt von Kurt Beck ein heilsamer Schock war. Wir dürfen und müssen um Inhalte ringen, aber wir müssen geschlossener auftreten. Mit Müntefering und Steinmeier haben wir die Chance dazu. Alle wissen: Wenn wir die verspielen, dann sehen wir bei der Bundestagswahl 2009 alt aus.
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