piwik no script img

Steigende HeizkostenDer nächste Winter erhitzt Rot-Rot

Gas wird für Einkommensschwache zu teuer, sagt die Linkspartei und fordert eine Erhöhung der Heizkostenpauschale. Das lehnt Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) ab und empfiehlt stattdessen dicke Pullover, um Energie zu sparen.

Ökologisch sinnvoll, sozialpolitisch umstritten: Wintermode in zeiten steigender Energiepreise Bild: AP

Draußen ist es 32 Grad heiß, und die rot-rote Koalition kocht. Es geht um die Frage, wer diesen Winter für die stetig steigenden Heizkosten von Hartz-IV-Empfängern aufkommen soll. Die Linkspartei will die Wohnkostenpauschale erhöhen. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hält das für unnötig und heizt die Debatte mit der Bemerkung an, um Heizkosten zu sparen, könne man auch dicke Pullover tragen.

Bereits zu Jahresbeginn hatte die Gasag ihre Preise um durchschnittlich 7,5 Prozent erhöht. Ein Preissprung um bis zu 14 weitere Prozent hat Berlins größter Gaslieferant für September angekündigt. Eine typische Kleinfamilie muss dann bis zu 150 Euro im Jahr mehr für Gas zahlen. Bei Hartz-IV-Empfängern wird die Warmmiete zwar von den Sozialbehörden übernommen, allerdings nur bis zu einen Höchstsatz, der von den Kommunen festgelegt wird. "Da die letzten beiden Winter sehr mild waren, haben die Sätze für die Warmmiete bei den meisten Hartz-IV-Empfängern gerade so ausgereicht", sagte Anja Wollny, die Sprecherin von Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke). "Wir rechnen damit, dass viele Zuwendungsempfänger diesen Winter über dem Richtwert liegen werden." Knake-Werner fordere deswegen, die Höchstsätze noch im Herbst anzuheben.

Benjamin Hoff (Linke), Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Verbraucherschutz, plädiert zudem für Sozialtarife bei den Energieversorgern. Eine Überlegung sei es, jedem Bürger ein Grundkontor an Energie zur Verfügung zu stellen. Wird dieser überschritten, könnten die Preise exponentiell ansteigen. So würden Vielverbraucher die Sparsamen subventionieren. Die andere Möglichkeit wären verbilligte Tarife für Einkommensschwache.

Der Finanzsenator weist beide Forderungen des Koalitionspartners zurück. "Nach unseren Berechnungen sind auch die für dieses Jahr zu erwartenden Heizkosten mit der Wohnkostenpauschale abgedeckt", sagte Sarrazin am Dienstag. Es könne sein, dass sich das in ein, zwei oder drei Jahren ändere. Dann müsse man weitersehen. Auch die Einführung eines staatlich subventionierten Sozialtarifes für Einkommensschwache lehnt Sarrazin ab. Das einzig richtige Mittel gegen steigende Kosten sei Energiesparen, betonte er am Dienstag.

In einem am gleichen Tag veröffentlichten Zeitungsinterview hatte Sarrazin erklärt: "Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernüftig leben können." Dies löste einen Proteststurm aus. "Arrogant und zynisch" nannte der amtierende Landesvorsitzende der Linkspartei, Wolfgang Albers, die jüngste These des Senators. Bei solchen Zimmertemperaturen werde "die Grenze zur Gesundheitsgefährdung überschritten", so der Vizedirektor des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. "Das ist menschenverachtend und nicht mehr hinnehmbar", ergänzte Amelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand. Und Michael Schäfer, energiepolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, meinte: "Sarrazin versucht davon abzulenken, dass tausende von öffentlichen Gebäuden schlecht gedämmt sind und Energie verschleudern."

Die Gasag selbst will keine Sozialtarife anbieten. "Das ist Aufgabe der Politik und nicht der Wirtschaft", sagte Gasag-Sprecherin Regine Buczek. Im letzten Jahr sperrte das Unternehmen in 4.700 Haushalten wegen offener Rechnungen das Gas. Stromlieferant Vattenfall kappte sogar 23.000-mal die Leitungen. Die Diskrepanz erklärt sich aus der Sozialpolitik. Denn die Stromrechnung müssen Hartz-IV-Empfängern vom Regelsatz begleichen. Die Heizkosten zahlt im Zweifelsfall die Kommune.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!