Stefan Kuzmany über Alltag : Im Gespräch mit zugereisten Christinnen
Gibt es die Unbefleckte Empfängnis wirklich? Undercover unterwegs auf dem ökumenischen Kirchentag
Ich hatte schlecht geträumt. Im Traum war mir Susan Stahnke erschienen. Sie saß bei meiner Familie an der Kaffeetafel und redete unglaublich blödes Zeug daher. Meine Familie hörte staunend zu. Ich wollte Susan Stahnke hinauswerfen oder ihr zumindest widersprechen, aber es ging nicht, denn mein Mund war verschlossen, irgendwie zugepappt, sehr unangenehm. So schwafelte Susan Stahnke ungebremst weiter und infiltrierte meine Familie mit ihrem Geschwätz. Sehr unerquicklich.
Entsprechend wenig ausgeruht lag ich am Vormittag auf dem Sofa herum und blätterte in „Generation Golf Zwei“ von Florian Illies. Schon auf der zweiten Seite öffnet der Ich-Erzähler ein Nutellaglas, durchsticht mit einem Messer die goldene Frischhaltefolie und ist beseelt von Frische und Süße und Jugenderinnerung, und ich hatte schon gar keine Lust mehr, weiterzulesen. Zum Glück war Timo da. Wir beschlossen, den angebrochenen Tag mit dem Betrachten von Kirchentagsbesuchern zu verbringen. Genauer gesagt: mit dem Betrachten von Kirchentagsbesucherinnen.
Timo behauptete nämlich, alle Kirchentagsbesucherinnen, überhaupt alle Frauen, die mit Gott und Kirche zu tun hätten, sähen unglaublich hässlich aus, gekleidet in lila Wickelröcke, würden überhaupt nur über ihren Glauben sprechen wollen und seien auch sonst nicht ganz dicht. Ich widersprach ihm heftig. Hatte ich doch auch und gerade in dieser Zeitung mehr als eine schöne und womöglich auch kluge Kirchentagsbesucherin finden können und auch den amourösen Fachartikel „Liebe deinen Nächsten!“ des Kollegen Jan Feddersen mit großem Interesse gelesen.
Klärung konnte nur ein Feldversuch bringen. Um leichter mit zugereisten Christinnen ins Gespräch zu kommen, beschlossen wir, uns als Kirchentagsbesucher auszugeben. Wir schnappten uns zwei kleine Rucksäcke, Timo befestigte an seinem noch eine Isomatte, und schlüpften in alte, bunte T-Shirts und kurze Jeans mit Fransen. Dazu Sandalen. „Sandalen sind ganz wichtig“, sagte Timo. Wir sahen ziemlich schrecklich aus.
Schon in der U-Bahn legten wir fest, wie wir uns den Damen nähern würden. Mit dem uncoolsten Anmachspruch aller Zeiten nämlich: „Hallo, seid ihr auch zum Kirchentag da?“ Und dann kamen wir zum Ort mit der höchsten Kirchentagsbesucherdichte Berlins: dem Schlossplatz.
Timo entdeckte sofort zwei junge Frauen, mit denen wir unser Glück versuchen sollten. Sie lagerten im Schatten, lehnten an ihren Rucksäcken und sahen überhaupt nicht aus wie Timos Klischee. Eher wie Winona Ryder und Cameron Diaz. Schon war Timo dort: „Na, seid ihr auch zum Kirchentag da?“
Wider Erwarten jagten uns die beiden Schönen nicht sofort zum Teufel. Sie sagten, sie kämen aus Bayern (wir auch) und wären das erste Mal hier und, es wurde immer unglaublicher, suchten noch jemanden, der mit ihnen die unbekannte große Stadt erkundet. Natürlich boten wir uns sofort an. Von der Hitze ermattet beschlossen wir, in den Volkspark Friedrichshain zu fahren und uns dort unter einen Baum zu legen. So machten wir das.
Timo, noch immer begeistert davon, eine falsche Identität spielen zu können, begann eine quasi theologische Diskussion: „Also, äh, diese Unbefleckte Empfängnis, damit habe ich eigentlich schon immer ein kleines Glaubensproblem gehabt.“ Ha! Der war noch nicht mal getauft, geschweige denn katholisch. Winona tat trotzdem interessiert: „Aber das ist doch eine zentrale Sache: das Idealbild der Maria.“ Ich konnte an Timos Augen deutlich sehen, wie er sich weitere Idealbilder vorstellte, Idealbilder durchaus weltlicher Natur. Er rückte bereits näher: „Das Motto des Kirchentages gefällt mir ja ganz gut: Ihr sollt ein Segen sein! Also, willst du nicht für mich ein ganz besonderer Segen sein, hm?“ Winona Ryder gluckste vergnügt und schien nicht abgeneigt.
Mir wurde die Sache langsam etwas unangenehm. Cameron Diaz offenbar auch. Wir gingen gemeinsam ein Eis holen und ließen die beiden anderen alleine. Plötzlich hatte ich eine ehrliche Anwandlung.
„Weißt du, mit der Kirche habe ich eigentlich nicht so viel am Hut“, sagte ich.
„Ich auch nicht“, sagte Cameron.
„Ach. Warum seid ihr dann zum Kirchentag angereist?“
„Sind wir ja gar nicht. Wir fanden es nur lustig, das zu behaupten, um Jungs kennen zu lernen.“
Ich war dermaßen irritiert, dass ich zunächst nicht antworten konnte. Dann schwafelte ich irgendetwas von Susan Stahnke, weiß auch nicht, warum. Wir gingen zurück zu den anderen beiden.
Da lagen sie unter dem Baum, in inniges … äh … Gebet vertieft.
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