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Stefan Alberti über Treppensteigen und Aufzugfahren im Zeichen der KlimakriseKleinvieh macht auch Mist

Mensch, Herr Alberti, immer noch die Treppen?“ Er meint es sicher nett, der leitende Mitarbeiter der Pressestelle im Roten Rathaus, der im Treppenhaus an einem vorbeieilt. Vielleicht sogar anerkennend im Sinne von: „In Ihrem Alter nehmen doch sonst alle den Aufzug.“ Denn die Pressekonferenzen des Senats, egal welcher Farbe und Konstellation, finden immer im dritten Stock des Backsteinbaus statt.

Der Mitarbeiter ist vorbei, bevor der Gedanke aufkommen kann, dass es nicht sonderlich schmeichelhaft ist, schon so gebrechlich zu wirken. Ein anderer Gedanke drängt sich vor: Die Begegnung zeigt, wie wenig das Thema Klimarettung im Alltag angekommen ist – allem Gerede über Gretas Atlantiküberquerung zum Trotz.

Wäre das anders, warum sollte dann jemand den Aufzug nehmen, wenn er oder sie noch einen Fuß vor den anderen setzen kann? Warum nur Flugscham und keine Aufzugscham? Der Journalist Hajo Schumacher, Erfinder der legendären Lauf-Kolumne „Achilles’ Verse“, beobachtete schon vor Jahren Fitnessstudio-Besucher, die sich vor Aufzug oder Rolltreppe drängten, statt auf der Treppe ein einziges Stockwerk höher zu ihren Hanteln und Ausdauerkursen zu laufen.

Warum also neben Flugscham nicht auch Aufzugscham? Braucht ja schließlich auch Strom, und auch der kommt nicht nur aus der Steckdose. Ach, das bisschen, die paar Watt, und in China und den USA …? Kleinvieh macht aber auch Mist. Und so wie die Vegetarier dieser Welt einem jede Kuh-Blähung als Klimakiller vorrechnen, so summieren sich auch Aufzugfahrten, E-Roller- und E-Bike-Fahrten. Schön, wenn diese neuen Gimmicks weniger fitten Älteren das Radfahren als Alternative zum Auto eröffnet. Aber warum müssen so viele Mittdreißiger stromfressend im Sattel sitzen, die nicht so wirken, als könnten sie ihr Rad nicht mit eigener Körperkraft vorwärts bewegen?

Am Tag nach der Begegnung im Roten Rathaus hängt zu Hause die taz-Titelseite „Greta auf großer Fahrt“ an der Tür des Kinderzimmers. Von drinnen erschallt – nicht zum ersten Mal – vernichtende Kritik an der Plastikverpackung des frisch erstandenen Käses. „Wenn wir beim Einkaufen immer alles moralisch richtig machen wollten, dann müssten wir Engel sein oder würden wir wahnsinnig“, hat sich Grünen-Bundeschef Robert Habeck jüngst bei Spiegel online geäußert. Aber den Versuch, alles richtig zu machen, wäre es doch wert. Und: Was wäre so schlecht an mehr Engeln auf der Welt?

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