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Stefan Alberti erlebt, wie überraschend einflussreich die schwindende katholische Kirche noch immer istOb Karl oder Reinhard – Hauptsache Marx

Guten Abend, Herr Kardinal, schöne Grüße von der taz.“ Reinhard Marx, der Chef der katholischen Bischöfe in Deutschland, schaut etwas verblüfft. Aber in der langen Menschenschlange, die an diesem Mittwochabend an ihm vorbeidefiliert, muss eben auch der ein oder andere Exot dabei sein. Es ist ansonsten eine illlustre Reihe mit vielen Großkopferten, wie man in Marx’ Münchner Erzbistum sagen würde – was hier nun wieder eigentlich gar nicht passt.

Denn noch nicht mal jeder Zehnte in Berlin ist Katholik, von Kirchgängern ganz zu schweigen. Eine Minderheit auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit, wie überall zu lesen ist. Und doch ist beim St.-Michaels-Empfang der katholischen Hauptstadt-Repräsentanz, offiziell „Kommissariat der deutschen Bischöfe“, irgendwie alles dabei, was in die Schublade „Rang und Namen“ passt.

Für die Bundesregierung sind Franziska Giffey (konfessionslos) und Kanzleramtsminister Helge Braun (katholisch) da, und mutmaßlich wäre sie noch stärker vertreten, wenn Kanzlerin Merkel nicht mit dem halben Kabinett Frankreich besuchte. Viele Bundestagsabgeordnete sind gekommen, Chefs anderer Kirchen, Wirtschafts- und Sozialverbände und mindestens ein bekannter Fernsehjournalist. Es ist vorwiegend eine Männerwelt, ein Anblick, der nicht bloß die Kritik der katholischen Fraueninitiative Maria 2.0 stützt, die Zugang von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern fordert.

Beim Michaelsempfang schüttelt Marx, gekleidet in ein schwarzes Gewand mit purpurroter Schärpe und gleichfarbigem Käppi, die ihn als Kardinal ausweisen, nicht bloß Hände, sondern redet auch – und zwar auf eine Weise, die an einen anderen Marx erinnert. „Die Folgen eines ungeregelten Kapitalismus, ich darf das ja mit meinem Namen mal sagen, kommen jetzt auf die Tagesordnung“, sagt er. Mit seinem Namen hat Marx schon vor Jahren intensiv gespielt: „Das Kapital“ überschrieb er 2008 wie sein Namensvetter Karl ein ganzes Buch, nur der Untertitel war anders: „Ein Plädoyer für den Menschen“.

Marx – der Kardinal – bedankt sich vor der Berliner Elite bei Jugendlichen, die sich für Klimaschutz einsetzen – und kritisiert das Klimapaket der Bundesregierung. Und hält auch nicht viel von Fortschritt, der „nur auf BIP und Börse schaut“. Es ist der Moment, der einen denken lässt: Vielleicht manchmal doch nicht schlecht, dass diese Minderheit immer noch einflussreich genug ist, um all diese Großkopferten zum Zuhören verpflichten zu können.

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