Stasi-Aufarbeitung in Berlin (West): "Die Stasi geht alle was an"

Bis zu 1.000 IMs der DDR-Staatssicherheit waren 1988 in Westberlin tätig. Nicht alle Bespitzelten haben sich damit so kritisch befasst wie die taz, sagt Georg Herbstritt.

taz: Herr Herbstritt, 20 Jahre nach Mauerfall ist die Stasi wieder in aller Munde. Wie erklären Sie sich das?

Georg Herbstritt: Aufarbeitung ist ein gesellschaftlicher Prozess über Jahrzehnte. Die jetzige Debatte ist durch den Fall des Polizisten Karl-Heinz Kurras belebt worden.

Kurras hat am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschossen. Im Mai 2009 kam raus, dass Kurras Inoffizieller Mitarbeiter beim Staatssicherheitsministerium war.

Der 43-Jährige ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stasiunterlagenbehörde. Sein Spezialgebiet sind Bundesbürger, die für die Stasi tätig waren.

Daran kann man sehen: Auch Jahre später gibt es noch neue Fragen und Erkenntnisse.

Das Zeit-Magazin hat kürzlich einen Stadtplan veröffentlicht, der zeigt, wie durchsetzt Westberlin von Stasi-IMs war. Sind das neue Erkenntnisse?

Nein. Aber diese Erkenntnis gerät immer wieder in Vergessenheit. Das Ganze war schon vor zehn Jahren in Fachpublikationen nachzulesen.

Wie durchsetzt war Westberlin aus heutiger Sicht wirklich?

Wir gehen davon aus, dass ein Viertel aller West-IMs in Westberlin tätig waren. In Zahlen ausgedrückt würde das heißen, 800 bis 1.000 IMs.

Worauf stützen Sie Ihre Informationen?

Das eine sind die Rosenholz-Unterlagen, die Karteikarten der Auslandsspionage der Stasi. Auf Deutschland bezogen führte die Auslandsspionage der DDR 1988 über 1.500 West-IMs in der Bundesrepublik. Die anderen Abteilungen des Ministeriums für Staatssicherheit hatten noch mal so viele. Zusammengenommen macht das für 1988 mehr als 3.000 Wenn wir sagen, ein Viertel davon waren in Westberlin, beinhaltet das natürlich ein paar Unschärfen.

Bei der Stasi-Forschung bewegt sich also einiges im spekulativen Raum?

Deshalb sage ich ja, die Zahlen sind Näherungswerte.

Warum tun einige Medien so, als wären die Zahlen neu?

Es gehört zum Aufarbeitungsprozess, dass Fragestellungen unter einem anderen Blickwinkel von einer anderen Generation neu gestellt werden. Man kann nicht erwarten, dass sich jeder in die Fachliteratur vertieft.

Hauptziel der Bespitzelung waren politische Machtzentren, aber auch Gruppen, Verbände und Verlage. Haben sich diese Institutionen genug mit dem Thema auseinandergesetzt?

Die taz hat es Anfang der 90er-Jahre mit der Serie "die taz und die Stasi" sehr früh gemacht. Darin wurde beschrieben, welche Versuche es vonseiten der Stasi gab, an die taz heranzukommen.

Es gab wohl mindestens drei IMs, die die taz ausspionierten. Was haben andere zur Aufarbeitung unternommen?

Die Kirchen haben sich auch sehr intensiv auseinandergesetzt. Die EKD hat Untersuchungen eingeleitet. Bei der Westberliner Polizei gab es dagegen nichts Vergleichbares. Sonst wäre Kurras viel früher aufgeflogen. Die Polizei will das jetzt nachholen. Daran könnten sich auch andere Institutionen orientieren.

Was hat es für einen Sinn, alles noch mal aufzurollen?

Im Großen und Ganzen geht es um eine historische Aufarbeitung. Aber auch die gesellschaftliche Debatte sollte man nicht scheuen. Schließlich war die Stasi nicht nur Sache der Ostdeutschen. Auch Westdeutsche haben sich dafür hergegeben. Und das unter sehr viel komfortableren Bedingungen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.