■ Standorte für Atomendlager – nur die Opportunität gilt: Ein Mythos platzt
Nur wenige haben sie geglaubt, aber die Beschäftigung mit ihr hat Zeit und Kräfte gebunden: die Behauptung nämlich, der Salzstock von Gorleben sei der geeignete Standort für ein atomares Endlager, nach bestem Wissen und Gewissen ausgewählt. Spätestens seit dem Endlager-Hearing in Braunschweig wissen wir, daß Gorleben 1977 von Politikern aus rein politisch-taktischen Erwägungen als Müllkippe für den gefährlichsten menschenproduzierten Müll ausgesucht wurde. Noch fataler: Gorleben ist überall! In Deutschland werden Standortentscheidungen häufig nicht nach wissenschaftlich nachvollziehbaren Kriterien getroffen – und die Betroffenen haben nur ungenügende Mitspracherechte.
Der Mythos der Wissenschaftlichkeit bei der Suche nach dem Standort für gefährliche Anlagen ist in Braunschweig endgültig geplatzt. Nicht einer der drei untersuchten Standorte für ein atomares Endlager Gorleben, Schacht Konrad und Morsleben sei in einer nachvollziehbaren, demokratisch legitimierbaren Entscheidung gewählt worden, stellten die versammelten Wissenschaftler — Atomkraftgegner und Befürworter — einmütig fest. Vielmehr hätten sachfremde und politisch nicht offengelegte Motive immer die zentrale Rolle gespielt. Wissenschaftler seien dann ex post dazu angehalten worden, solche Standorte gesundzureden.
Die Atompolitik ist nur das Brennglas, durch das eine der Fehlentwicklungen der bundesdeutschen Industriegesellschaft sich überdeutlich zeigt. In Deutschland ist die Standortauswahl zu einem Spiel verkommen, bei dem die Betroffenen selbst nicht mitbestimmen und am Ende nicht nachvollziehen können, wie die Entscheidung zustande gekommen ist.
In Baden-Württemberg beispielsweise lehnte das Wirtschaftsministerium (!) kürzlich die Errichtung einer Sondermüllverbrennungsanlage ab. Der Boß von IBM hatte sich beschwert, nicht etwa weil die Anlage (was immerhin plausibel wäre) die Bevölkerung vergiftet, sondern weil sie angeblich die Chip-Produktion einer neuen IBM-Fabrik gefährdet.
Das schadet der Akzeptanz von Industrieanlagen, es schadet dem von der Bundesregierung so oft beschworenen Standort Deutschland überhaupt. Nur ein durchsichtiges Verfahren mit einer frühestmöglichen Öffentlichkeitsbeteiligung verspricht mehr Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger, ist aber natürlich keine Garantie. Ohne eine solche Beteiligung aber werden die Anhänger des Sankt-Florian-Prinzips ins Recht gesetzt. Ohne meine Zustimmung und ohne eine kluge und nachvollziehbare Begründung zündet in meinem Garten niemand ein Feuer an.
Das Hearing von Braunschweig muß zunächst Konsequenzen für die deutsche Atompolitik haben. Die Suche nach einem atomaren Endlager in der Bundesrepublik muß praktisch von vorne beginnen. Sie kann nur vernünftig beginnen, wenn klar ist, wofür ein Endlager gesucht wird, wieviel Atommüll also entsorgt werden muß. Das heißt, der schnellstmögliche Ausstieg ist zuvor notwendig. Die sich daraus ergebenden Nachteile für die Stromwirtschaft und den Standort Deutschland haben sich Regierung und Industrie selbst zuzuschreiben. Die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung weist aber über die Atomkraft hinaus: Bürger-Partizipation wird zum Standortfaktor. Hermann-Josef Tenhagen
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