■ Standbild: Kein Schwein guckt
Der „Tag der deutschen Einheit“ vorbeigeflimmert
Wenn wir die öffentlich-rechtlichen Sender nicht hätten, würden wir von der deutschen Einheit in Sachen Fernsehen wenig merken. Die Privaten nähren uns am 3. Oktober zuverlässig nach gewohntem Schema.
Mitten am hellichten Tag, um 12 Uhr mittags, hat dagegen die ARD den offiziellen Staats- und Festakt in Schwerin übertragen— wetten, daß da kein Schwein guckt? Und nach Schwerin gefahren sind auch „nur“ 30.000 — erwartet wurden 150.000 Schaulustige. Ist das nicht ein beruhigender Nationalfeiertag? Die Sender geben sich keine Mühe, niemand schaut zu, und kaum jemand geht hin. Nur eines hat der Einheitstag im Fernsehen gebracht: die Erkenntnis, daß die BRD-Politiker noch berechenbar sind, wenn sie Festreden halten. Berechenbar bis zum Ausschalten.
Kohl hatte bei der Haupt- und Staatsaktion in Schwerin eine tragende stumme Rolle: Er hielt keine Rede, aber er war ein Drittel der Zeit im Bild. Zur besten Abendessenszeit war er dann fünf Minuten lang mit Ton auf Sendung, mit seinen erprobten Textbausteinen „Gemeinsam- Zielfürunsalle“.
Weizsäcker übernahm den Hauptpart im Staatstheater. Wie erwartet, gab's eine ernsthafte Abmahnung — an die Adresse Kohls, der Parteien und der unersättlichen, den Staat als Dienstleistungsbetrieb mißbrauchenden BürgerInnen überhaupt. Das Vorspiel gehörte Ministerpräsident Seite von Mecklenburg-Vorpommern. Unterwürfig bedankte er sich bei Kohl ausdrücklich persönlich dafür, daß er ihn aus seiner schrecklichen DDR-(Blockflöten)-Vergangenheit erlöst hat. Ansonsten konnte er vor lauter Harmoniebedürfnis und Ergebenheit keinen klaren Gedanken formulieren: Die Wessis sind spendabel, die Ossis dankbar — also alles in Butter. Von Rostock keine Silbe.
Wie packend Politik sein kann, zeigte dagegen der Film „Tag der Entscheidung“ über den 9. Oktober 1989 in Leipzig (ZDF). Auch wenn man nichts Neues erfuhr: In diesem Fall lag die Spannung gerade in der Wiederholung, Jahre nach der Euphorie bei Ossis wie Wessis, die— wenn überhaupt — damals für ein paar Tage stattgefunden hat. Die einen vor Angst schlotternd auf der Straße, die andern heulend vor der Glotze. Aber da gab's auch noch keine Staats- und Festakte. Friederike Meyer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen