piwik no script img

■ StandbildWerte-Entsorgung

„Friede, Freude, Katzenjammer“, Di., 23.00 Uhr, ZDF

Hans Schuster sieht aus wie Konrad Adenauer. Im Gegensatz zu diesem Nachkriegs-Herrenmenschen ist Schuster die Jacke des Herrschenden, die er sich nach der Wende übergestreift hat, noch sichtlich zu groß. Aber der ehemalige VEB-Direktor, der jetzt den großväterlichen Steinmetzbetrieb zum Bauunternehmen ausgeweitet hat und sogar in den Bundestag gewählt wurde, wird hineinwachsen. In ihrem ausgezeichneten Dokumentarfilm haben Detlef Gumm und Hans-Georg Ulrich diesen Schuster zum Hauptprotagonisten gemacht. In vielsagenden Detailbeobachtungen kann man hinter seine zur Schau gestellte, geborgte Selbstsicherheit blicken.

Es spricht für die Sensibilität der Autoren, daß sie ganz alltägliche Momente festhalten konnten. Die Leute vor der Kamera benehmen sich nicht wie Leute vor der Kamera. Weder die ausländerfeindlichen Neonazis (deren berufliche Misere kurz gestreift wird) noch Schuster.

Eine wunderschöne Szene gelingt beim Kauf des brandneuen West-LKWs: „Ich kann meinen Kraftfahrer (er meint seinen Knecht) nur beglückwünschen, daß er solch ein Fahrzeug fahren kann“, sagt Schuster. Ein gewiefter Westkapitalist würde solch einen Zynismus nie in den Mund nehmen. An derart naiven Randbemerkungen wird schön deutlich, wie ein „Herr“ Schuster hier die joviale „Güte“ des Kapitalisten (noch) simuliert. Dennoch bleibt der Film fair und betreibt keine agitatorische Demontage Schusters. Es geht um weit mehr: Ein Arbeiter Schusters zersägt eine Gedenktafel der befreienden Sowjetarmee. „Ein gutes Gefühl ist da doch nicht dabei“, sagt er. So wie er jetzt die Arbeit anderer zunichte macht, so kann in zehn Jahren wieder seine Arbeit zunichte gemacht werden, sagt er. Diese grundlegende Unsicherheit, Kennzeichen der Umbruchzeit, haben die Autoren in den verschiedensten Bereichen dokumentiert: „Ich soll motiviert werden“, sagt ein zu Motivierender in einem VHS-Motivationskurs. Überhaupt ist der Film voller schöner, symbolhafter Bilder: Schuster will seinen Ost-LKW billig entsorgen. Ein improvisiertes Museum nimmt dankend an. Die Schlußkamerafahrt über die dahinrostenden Karossen macht deutlich, daß man nicht nur alte Ostautos, sondern auch die positiven Werte, die man in der DDR entwickelt hat, fortan nur noch im Museum besichtigen kann: You know, it's the Marktwirtschaft. Manfred Riepe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen