Standbild: Beruf: Propagandist
■ Dietmar Kleins "Straßenhändler"
Dietmar Kleins „Straßenhändler“, B1, 22.15Uhr
Sie sind unsicher und halten öffentliche Vorträge – ohne Manuskript. In wenigen Minuten entwickeln sie eine Philosophie des Staubsaugers, täglich neu, mit wechselndem Standort. Sie nennen sich Kaufleute, Künstler, gewinnen Pokale oder verlieren die Tageseinnahmen, weil Kollege Wetter nicht mitspielt. Ihr Beruf: Propagandist. Sie wollen nur das eine, unser Geld. Sagt Käse-Paul.
Dietmar Klein, der seinen ersten Spielfilm den Marktschreiern widmete, hat die lebenden Vorbilder für Solinger-Rudi alias Achim Grubel nun in einem Dokumentarfilm unter die Lupe genommen. Ohne Off- Kommentar, Faktenhuberei oder Anspruch auf Vollständigkeit: Wer wissen will, wieviel ein Straßenhändler verdient, wieviele es in Deutschland gibt, sah sich von der SWF/SFB-Koproduktion enttäuscht. Klein entwirft drei Charakterskizzen, von Gemüse-Peter, Staubsauger- Bernd und Käse-Paul. Und er studiert deren Alltag.
Peter aus dem Osten ist der Newcomer. Vorher war er LPG-Schlosser: „Ich hab da gestanden, die Leute angeguckt, die Leute haben mich angeguckt, passiert is gar nix.“ Er überlegt schon jetzt, den Beruf wieder zu wechseln. Bernd ist der Yuppie, ein Managertyp. Selbst die Pointen setzt er nach marktwirtschaftlichen Erwägungen. Und doziert über das Absatzgebiet Ost. Daß Ware auch mit Aggressivität und Witz losgeschlagen werden kann, hatte Neuigkeitswert in der Ex- DDR. Die fünf neuen Bundesländer: ein Paradies für Propagandisten. „Die haben auf Zuruf ihr Geld gezückt.“ Der autoritäre Charakter macht den idealen Kunden.
Käse-Paul ist der Altmeister. Ein Naturtalent, Urgestein, der Traditionalist unter den dreien. Kleins Film macht keinen Hehl daraus, daß der Regisseur an diesem Clown mit der kaputten Stimme einen Narren gefressen hat. Paul träumt vom Marktleben bis ans Ende seiner Tage. Sein Credo: „Det Leben is 'ne Show. Sollen die Leute ihre Show haben.“ Packt sich einen Zwanzig-Mark-Schein auf die Stirn, füllt Körbe, Tüten, ja sogar Hosen mit Käse.
Kleins einziger Kommentar zum ungleichen Trio ist die Musik. Beethovens „Pastorale“ bei Peters Anfahrt vom Lande, Disco-Pop für Bernds Marketing- Strategien und Rock 'n' Roll für Pauls Alleinunterhaltung. Er wiederholt diese musikalische Typologie immer wieder – einmal hätte genügt. „Solinger Rudi“ wirkt übrigens wie die gelungene Kreuzung aus Gemüse- Peter und Käse-Paul. Fragt sich nur, ob Klein im Dokfilm suchte, was er für die Leinwand bereits erfunden hatte oder umgekehrt. „Straßenhändler“: auch eine Studie in Sachen Dichtung und Wahrheit. Christiane Peitz
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