piwik no script img

StandbildTippen mit Seele

■ "Von der Schreibmaschine zur Sekretärin"

„Von der Schreibmaschine zur Sekretärin“, Sonntag, ARD, 22.55 Uhr

Tippen statt töten hieß es ab 1874 bei „Remington“. Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg war es aus mit dem lukrativen Waffengeschäft. Die Maschinenfabrik mußte auf alternative Produkte setzen: unter anderem auf die Schreibmaschine. 1874 ging sie in Serienproduktion und läutete eine Revolution im Kontor ein.

„Zeitsparen heißt, das Leben verlängern“, warb die Firma und demonstrierte die kinderleichte Bedienung, indem sie Kinder und Frauen vor die Maschine setzte. Das überzeugte: Aus Schreibern wurden Stenotypistinnen und aus Sekretären Sekretärinnen.

Christian Romanowski ist es mit seiner Dokumentation gelungen, Kultur- und Mentalitätsgeschichte zu verknüpfen. Er zeigt nicht nur, wie die Schreibmaschine in den Büroalltag einbrach und die Frauen mit militärischem Drill zur Tippse getrimmt wurden, er hat auch mit alten und jungen Sekretärinnen gesprochen. Indem er ihre Äußerungen mit dem historischen Material konfrontiert, ergeben sich aufschlußreiche Zusammenhänge. Es stellt sich heraus, wie stark sich die Bilder und Selbstbilder von damals und heute ähneln. Unter sexueller Anmache leiden die Frauen nicht erst heute; schon vor sechzig Jahren beklagte die Schriftstellerin Christa Anita Brück in ihrem Roman „Schicksale hinter Schreibmaschinen“ die unverschämte Grapscherei vieler Männer. Die Sekretärin repräsentiert immer noch das Ideal der gefügigen, gepflegten, anpassungsfähigen Frau, die ihrem Chef jeden Wunsch von den Augen abliest.

Genau diese weiblichen Qualitäten waren gefragt, als die Schreibmaschine auf den Markt kam. Man brauchte die Arbeitskraft der Frauen, brauchte ihre „feinen Fingerchen“ (Friedrich Nietzsche), um sie „vom Klavier zur Schreibmaschine“ zu bewegen. Der Sekretärinnenberuf hat sich nie vom Image traditioneller Weiblichkeit befreien können. Der Film zeigt, wie die Sekretärinnen oft selbst noch diesem Klischee verhaftet sind und wie diese Qualitäten im modernen Büro ausgebeutet werden. Daß sich ein Mann heute solcher Themen annimmt, läßt Frauenherzen höher schlagen. Immerhin auch ein Erfolg der Frauenbewegung. Oder? Heide Soltau

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen