Standbild: Ich hatte Schein Nr. 40702
■ Ziehung der Lottozahlen, Samstag, ARD, 22 Uhr
Ziehung der Lotto-Zahlen,
Samstag, ARD, 22 Uhr
Es hätte die letzte Lohnarbeit für Zeilenhonorar werden können. Nur einmal wollte man doch mit ganzem Herzen bei jener Sendung dabeisein, deren Einschaltquote bereits am Vorabend feststeht. Einmal teilhaben an jenem grausam-schönen Spiel der Kugeln, bei dem Millionen jeden Samstag daheim an den Schirmen mit einem Zettel in der Hand für drei Minuten vergessen, Chips und Alk nachzuladen. Einmal als Reality-TV erleben, was sonst nur ein lästiges Intermezzo beim Warten auf „Das Wort zum Sonntag“ ist. Und es ließ sich ja auch alles recht gut an.
Unser Allerbester, der Moik, Koal, brachte mit seinem „Musikantenstadl“ gute Laune in unsere Stube. Von den „Gebrüdern Pfarr“ bis zum „Stoakogler Trio“, das mit einem allerliebsten Hasselhoff-Cover aufwartete („I am looking for Freibier“), war alles vertreten.
Doch so ab 21.55Uhr lief der Countdown an. Schließlich steht unsereins nicht täglich vor der ersten Million. Pünktlich um 21.57Uhr ließ sich der humoristische Dampfhammer noch eine Karnevalsmütze verpassen und lud zur Schlußpolonaise. Danach noch „Tagesthemen-Telegramm“. Bananen sollen im Preis mächtig anziehen, aber was schert's den Millionär? 22.01Uhr: Karin Tietze-Ludwig erzählt von der „6.Veranstaltung im Deutschen Lottoblock“, wünscht „viel Glück“ und verstrahlt dabei ungefähr soviel anteilnehmenden Charme wie Ede Zimmermann. Schicksal, nimm deinen Lauf.
Der zur Zeit seiner Kreation wahrscheinlich mal futuristisch gemeinte Glasballon beginnt um seine Achse zu kreisen. 49 Kügelchen, meine mittendrin, geraten ins Trudeln. Da, der Apparat legt den Rückwärtsgang ein. Und schon schaufelt der drahtige Arm mit elegantem Schwung das erste Bällchen in den Ausguck. Unten rechts im Bild ein Insert mit dem Röhrchen, bereit aufzunehmen, was da komme. Sanft nimmt ein am Boden liegender Filzring die erste Sechstel-Million auf: 11! Karin bestätigt aus dem Off: „elf“. – Und man hat es schon irgendwie im Gefühl, hetzt aber dennoch mit den Augen gebannt über den Tippschein: 12, 17, ja, aber weit und breit keine elf.
Der Traum, der seit Freitag nachmittag konkrete Formen angenommen hat (Eigenheim, Chauffeur, Toscana, arme Schlucker bedenken?) zerbirst. Die Ziehung der Trostpreise verfolgt man nur noch mit einem Auge.
Selbst daß da plötzlich ein zweiter Ballon angeworfen wird, um eine sogenannte „Superzahl“ zu ermitteln, läßt kalt. Denn dummerweise hat man der Dame vom Kiosk erklärt, man wolle nur ganz normal Lotto spielen. Sonst nix.
Wer konnte schließlich ahnen, daß dieser TV-Klassiker durch rätselhafte Glücks-Chiffre wie „Superspiel“, „Jokerzahl“, „Super 6“ u.a. bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist? Selbst Bezieher einer „Sofortrente“ (!) sind da ermittelt worden.
So interessiert sich unsereins bei den „Tagesthemen“ doch wieder für steigende Bananenpreise und erhofft Tröstendes vom „Wort zum Sonntag“. Reinhard Lüke
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