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■ StandbildZorn aufgenommen

„Ayrilik heißt Abschied“, ZDF, Freitag, 21.05 Uhr

Das Leben hinter der Nachricht zu zeigen ist das Ziel jeder Reportage. Diese hatte sich vorgenommen, das Leben derer zu zeigen, die Tote zu betrauern haben: die Hinterbliebenen des Mordanschlags von Solingen. Solche stereotypen Bezeichnungen gibt Autor Michael Heuer gleich am Anfang auf: Fortan spricht er von der Familie Genç, deren Kinder getötet wurden – was gerade in diesem Kontext notwendig erscheint, da der Abstraktionsgrad der rassistischen Gewalttaten durch ihre Masse zunimmt und „die Türken“ und „die Opfer“ zu einem festen Posten in den Schlagzeilen degradieren.

Heuer zeigt Familienfotos, sogar Videos der befreundeten deutschen Nachbarn, auf denen die Toten zu Lebzeiten zu sehen sind. Damit erlangen sie nicht nur für den Zuschauer eine Identität, sondern auch, für einen Moment, ihren Platz im gesellschaftlichen Leben zurück, den sie entgegen dem von den Mördern gewollten Anschein hatten.

Gerade solche Berichte, die einerseits das Elend der Betroffenen und andererseits die Bestürzung des Berichtenden vermitteln wollen, begeben sich oft in die Gefahr und die Nähe des Voyeurismus. Vor allem dann, wenn wie hier die Bilder von Nahaufnahmen bestimmt werden, von Menschen, die trauern und leiden. Aber Heuer vermeidet es, dauernd „explosiv“-artig seinen Kommentar dazu abzugeben und die Bilder zu Handlangern der Sensation zu machen. Er nimmt vielmehr umgekehrt den Zorn von einigen Familienmitgliedern auf – gegen die Nazis, sich selbst, die Politiker – und stellt ihm polemisch Betroffenheitsäußerungen der Politiker entgegen. Außerdem nimmt er, zusammen mit dem türkischen Journalisten Hassan Tekin, dem Verbrechen den Schein der Einzeltäterschaft, indem er von der seit Monaten aktiven Solinger Neonazi-Szene berichtet, von der auch die Polizei gewußt hat: Eine „Kampfsportschule“ etwa gibt es hier und einen Kult um den gebürtigen Solinger Adolf Eichmann.

Heuer begleitet die Familie auch in das anatolische Dorf, aus dem sie vor 20 Jahren aufgebrochen ist und in das sie nun für die Trauerfeier zurückkehrte. Die dortige Gastfreundschaft mußte beschämend wirken. Das aber ist kein Grund, in Sätze zu verfallen wie den, daß die dort bestatteten Toten nun „unter der Erde den Frieden (haben), der ihnen darüber nicht vergönnt war“ – ein mißverständlicher Zynismus in einer sonst so sensiblen Reportage. Oliver Rahayel

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