■ Standbild: Kummerkasten
„Nighttalk“, premiere, Freitag, 0.00 Uhr
Dem Telefontuten ist ein treibender House-Beat unterlegt, die aufgerasterten Bilder zeigen urbane Nachtimpressionen. Aus dem Hubschrauber wird immer wieder auf ein Hotel nahe den Hamburger Landungsbrücken gezoomt – Ankündigung des „Nighttalk“ vom Pay-TV-Kanal premiere. Hier können die einsamen Nachteulen via Telefon und Fax der Moderatorin Bettina Rust Freud und Frust klagen.
Die Aufmachung läßt an US- Vorläufer denken. Etwa den Radiosprecher Barry Champlain aus dem Film „Talk Radio“ oder Larry King von CNN. Deren hochexplosive Shows endeten gerne mal im handgreiflichen Tumult oder in wüster Beschimpfung. Was die hiesige Sendung dann allerdings bietet, blickt kaum über den Kummerkastenrand hinaus.
Ein Timo, 25 Jahre, aus Stuttgart erzählt von seinem Problem mit der Freundin, die die gemeinsame Wohnung mit Poster von Dolph Lundgren zukleistert. Der 1,67 Meter große Schwabe fühlt sich verständlicherweise zurückgesetzt und fragt, was zu tun sei. Rust rät zum Gegenschlag mit Samantha Fox. So einfach ist das manchmal. Prekärer ist der Anruf von Sylvia aus Köln, die als Zwölfjährige von ihrem Stiefvater mißbraucht wurde. Da das aber zehn Jahre zurückliegt, kann sie ihren Fall besonnen vortragen und plädiert eindringlich für die Aussprache. Die Moderatorin kann da nur brav beipflichten, das ist schließlich ihr Job. Andere Anrufer verkünden freudig ihre Ausmusterung oder ihr zweites Kind.
Man wird den Eindruck von Quotierung und Sortiererei nicht los. Die vorgeschaltete Redaktion scheint die Anrufe nach den Regeln des guten Geschmacks zu filtern. Ist das der Grund, warum die Sendung so sensationell unspektakulär verläuft? Beziehungsdramen und Pubertätskrisen sind doch bei Bravo besser aufgehoben. In der vorherigen Sendung ging's einmal zur Sache. Ein Anrufer exhibitionierte seine Sucht nach Nervenkitzel, die er bis zur mehrsekündlichen Blindfahrt auf der Autobahn steigerte. Statt des üblichen Nachtblablas zeigte sich die volle Ambivalenz dieser sensationslüsternen Sendeform und einer überforderten Moderatorin. H.M.
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