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■ StandbildIn Monika-Maron-Stadt

„Bitterfeld, Bitterfeld, wo der Dreck vom Himmel fällt“, Sa., 22.15 Uhr, Vox

Es hatte schon einige Mühe gekostet, meinem Freund zu erklären, warum wir den Samstag abend nicht in der Disko, sondern vor der Glotze verbringen mußten. Schuld war die Fernsehproduktionsfirma DCTP: „Die Sendezeit ist offenkundig bedroht“, hatte sie an die taz gefaxt und damit die anspruchsvolle Vox-Reihe „100 Minuten Vielfalt“ gemeint. Solidarität mit Entrechteten, Vielfalt statt Mainstream – da muß jeder Journalist zurückstecken!

Letzten Samstag ging es um das ostelbische Gift-Kaff, das eigentlich längst in Monika-Maron-Stadt hätte umbenannt werden müssen: Bitterfeld. Keine schlechte Idee. Ein paar Aufnahmen von der zernarbten Mondlandschaft, röchelnden Kindern und Aufschwung-Ost-Imbißbuden sind allemal gruseliger als die Monsterfilme auf RTL. Zwar sollte es nur eine „Chronik vom Untergang der klassischen Industrie“ werden, aber auch die bot sich im Vergleich mit dem konkurrierenden „Wort zum Sonntag“ (ARD), dem „Sport-Studio“ (ZDF) und „Mann-o- Mann“ (Sat.1) durchaus an. DCTP sparte denn auch nicht mit Eigenlob: „Zur Zeit setzen wir auf diesen Termin das Beste, was wir bringen können.“

Ob der Produktionsfirma dieser Satz im Vox-internen Streit dienlich sein wird, bleibt abzuwarten. Denn die Filmidee ist die eine, die Umsetzung die andere Seite. Die Sendung bestand aus willkürlich zusammengeschnittenen Episoden eines Dokstreifens unbekannten Jahrgangs und einer Plauderrunde in der Redaktion der Wochenzeitung Freitag. Letztere war immerhin nicht uninteressant: Redakteurin Katja Maurer schreibt ganz anders, als sie aussieht, und wer hätte gedacht, daß das dünne Blättchen noch so viele Mitarbeiter hat. Dennoch: Aus der Runde hätte man besser einen Film über Intellektuelle machen sollen. Über Menschen, die viel reden, über das Thema kaum Ahnung haben und sich trotzdem sehr wichtig vorkommen. Da wird man fast zum DDR-Nostalgiker: Ein bißchen „Bitterfelder Weg“ könnte insbesondere den Wessis in der Freitag-Redaktion ganz guttun.

Als nach 55 Minuten Vielfalt der Freitag-Chefredakteur wieder einmal zum Monolog ansetzte, fielen mir die Äuglein zu, während mein grummelnder Freund bis zum bitteren Ende durchhielt. Immerhin waren wir uns am nächsten Morgen einig: Nicht unsere Beziehung, sondern die DCTP-Sendezeit bei Vox ist völlig zu Recht bedroht. Micha Schulze

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