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■ StandbildAbsolute Gegenwart

„Mannsbilder“, Montag, 21.15 Uhr, Eins Plus

TV-Interviews sind gesellschaftlich akzeptierter Voyeurismus: Zeige mir deine Leichen im Keller! Um so interessanter war es, mitanzusehen, wie Gregor Gysi sich redlich und höflich bemühte, sich dem Ritual zu stellen: jedoch nicht in gewohnter Manier. Indem er immer wieder die Dinge aus seiner Sicht darstellte, liefen die Fragen Lea Roshs gnadenlos ins Leere. Damit nicht genug. Indem wir in jeder Fragesituation spürten, daß Gysi sich in seinen Antworten kein bißchen wandt, wurde die banale Albernheit der Fragen offenbar. Gewiß, Gysi ist eben ein Medienprofi. Doch die Art und Weise, wie er das ist, unterscheidet ihn von den Medienprofis, die als Talk-Show-Touristen bei „Gottschalk“ lockere Bekenntnisse abspulen. Gysi präsentiert sich als reiner Spiegel; er entzieht sich durch seine absolute Gegenwart. Um so lächerlicher erschienen Lea Roshs Versuche, den Mann durch betont spontane Fragen aus dem Takt zu bringen, etwa: „Wie finden Sie, daß die Tiere hinter ihnen gehalten werden?“ fragte sie und deutete auf den Käfig im Hintergrund.

Alle Versuche, aus diesem Mann das herauszuquetschen, was für das Fernsehen als Aasfresser verwertbar ist, scheiterten. Dieses ganze Gefrage nach Sexgeschichten, männlicher Eitelkeit, Schwulsein etc. – grenzenlos belanglos. Deswegen schließt eine Fernsehkritik hier strukturbedingt eine Sympathieerklärung für diesen Mann mit ein. Die Wahrheit des Faktischen, der Gysi bis in die (spärlichen) Haarwurzeln verpflichtet ist, duldet keinen Small talk. Für Gysi ist dieses ganze Psycho- Geplauder eine Fremdsprache. Und weil Rosh ihre Fragen deshalb stets „übersetzen“ mußte, gab sie zugleich deren Nichtigkeit preis. So war die Sendung „Mannsbilder“ aus konventioneller Sicht stinklangweilig. Gegen den Strich gesehen, war sie jedoch eine Art virtuelle Schwarzblende gegen Seichtheit. Wurde das Gespräch an der einen oder anderen Stelle spannnend, weil Gysi über die DDR sprach, so erfolgte augenblicklich der Sprung zurück aufs Playboy-Frageniveau. Man verspürte das Bedürfnis, hinzuzutreten, den Mann zur Seite zu nehmen, um den einen oder anderen Gesprächsfaden weiterzuverfolgen. Auf die kaschierten Anzüglichkeiten antwortete Gysi immer nur das gleiche: „Sehen Sie her, unter meinen Klamotten bin ich genauso nackt wie Sie.“ Manfred Riepe

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