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■ StandbildAngstschweiß gesucht

„Tag X“, Mo., 22.15 Uhr, RTL

„Schschschtt... dann ist es vorbei“, beschreibt der Delinquent den Tod und schmunzelt. Kein Zweifel, Dieter Riechmann fehlt der nötige Ernst für seine Lage. Seit fünf Jahren sitzt der Hamburger Zuhälter in der Todeszelle des Staatsgefängnisses von Florida. Er soll seine Freundin und Angestellte im mörderischsten Ghetto Miamis erschossen haben. Der Mann vom Kiez beschuldigt hingegen einen Schwarzen.

Mit dem Drehbuch der Reportage hat Riechmann so seine Schwierigkeiten. Unbeholfen schimpft er Richter und Anwälte „Strolche“, flechtet nach kurzem Zögern mal ein „damned“, mal ein „fuck“ ein. Lockerer wird seine Zunge, wenn sich der Häftling über schlichte Anekdoten rund um den elektrischen Stuhl amüsiert. Dann haut sich Riechmann auf die Schenkel, daß die Handschellen nur so klirren. Statt Galgenhumor Bierlaune, und die ist dem Tag-X-Team dann doch zuviel.

Vergißt der Todeskandidat die gebotene Nervosität, springt die Handkamera ein. Frontal steigt das Objektiv der Fehlbesetzung ins Gesicht auf der Suche nach Angstschweiß. Von den beamteten Tätern, den Henkern und Wärtern, zeigt es dagegen konsequent die Nasenlöcher. Untersichtig werden sie bevorzugt vor dem eigenen Swimmingpool abgelichtet. Auch der einhändige Hinrichtungszeuge läßt vorfreudig seine Stahlhakenprothese in der Sonne glänzen.

Alles paßt, nur Riechmann taugt weder zum Schlachtvieh noch zum Unschuldslamm. Ausgleich für diese dramaturgischen Schwächen erhofft sich Autor Gabor Harrach durch das ambitionierte Posing der Essener Anwältin Marion Plinke. Die Juristin ziert sich nicht, breitbeinig und mit ausgestreckten Fingern die Tat nachzustellen oder bei den Geschworenen zu fensterln, um ihnen Regungen eines schlechten Gewissens zu entlocken. Ihren Einsatz, den Harrach als temposteigernde Parallelhandlung montiert, begründete sie mit Gerechtigkeitsliebe. Absurd auch Riechmanns Ablehnung einer Überführung nach Deutschland, mit der er dem heißen Stuhl entgehen könnte. Er will eine Rehabilitierung.

Bei „Tag X“ legt man darüber nicht die Stirn in Falten, sondern schaut bereits nach vorne. Wenn schon nicht Dieter, dann wenigstens eines von Lagerfelds Modellen: „Wird Olga es schaffen?“ lautet die weitgefaßte Frage fürs nächste Mal. Birgit Glombitza

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