■ Standbild: Wende-Wendler
„Grüß Gott, Genosse“, Mittwoch, 20.15 Uhr, ARD
Alles wirkte so bösartig echt. Die ethnologischen Beobachtungen zwischen Stasi- und Strauß-Land ließen ein wundersames Stück gesamtdeutscher Wirklichkeit entstehen. Es kungelt zusammen, was zusammengehört. Hemdsärmelig arrangiert Manfred Stelzer seine hübschen Milieu-Bildchen – läßt seine rote Lehrersocke Adolf im Militär-Sommerlager den Anführer spielen und „Erbsen mit Bauchspeck“ loben.
Schulleiter wär' er bestimmt geworden, hätte nicht der aufsässige Tommi seine Musterklasse in Verruf gebracht. Kurzentschlossen nutzt Adolf Wendler daher seine Chance, als während seines Urlaubs plötzlich ein Flüchtlingstreck via Ungarn gen Bayern zweitaktert. Vorerst nistet er sich bei Onkel Ludwig ein – den Georg Marischka schillernd als schlitzohrigen Dorfhonoratioren spielt. Der hat im Treppenhaus einen Leuchter mit Geweihkranz hängen und weiß, wo zwischen Wirtshaus und Kirchenchor die Polit-Musi spielt.
Adolf, jetzt im Leder-Janker bestens assimiliert, spachtelt an der Mauer seines neuen Häuschens, während die Mauer „drüben“ gerade geschleift wird. Ausgerechnet der aufmüpfige Tommi sucht ihn in der Idylle heim. Aber selbst nach seiner Enttarnung fühlt sich der Ex-Lehrkörper und Alt-Bonze daheim im Wessi-Look gleich wieder als Boß.
Neben den ironischen Montagen bringt vor allem Hauptdarsteller Jürgen Schmidt Leben in die pointierte Polit-Posse „Grüß Gott, Genosse“. Lauernd wie ein Habicht späht Adolf nach Beute. Was zunächst etwas phlegmatisch wirkt, ist reine Taktik. Denn wer nichts macht, macht auch keine Fehler.
Dazu dieses verschlagen-verschmitzte Mienenspiel, das Symphatie signalisiert, aber bloß seine unendliche Selbstzufriedenheit boshaft aufblitzen läßt. Dieser Typ ist nicht bösartig, aggressiv, eitel oder bedürftig, sondern „nur“ clever – wie auch Stelzer, der nach den unsäglichen „Ossi“-Klamotten mit ihrem Besserwessi-Lifestyle und dem duftwasserbenetzten Zeigefinger (Freiheit oder Sozialismus) nun die erste wirklich gesamtdeutsche Komödie über die universellen Spezies der Wendehälse drehte. Dieter Deul
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